Rz. 37
Die europarechtlichen Naturschutzvorschriften haben in der Praxis der Planfeststellung nach wie vor große Bedeutung. Der europäische Gebietsschutz wird maßgeblich durch die europäische Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG) und durch die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (92/43/EWG) bestimmt. Eine erste wichtige Entscheidung des BVerwG zu diesen Richtlinien war die Entscheidung zur Bundesautobahn A 20. Die Richtlinien haben den Aufbau des europaweiten Schutzgebietssystems "Natura 2000" zur Aufgabe. Die Vogelschutzrichtlinie (V-RL) aus dem Jahr 1979 stellte sehr strenge Anforderungen an den Gebietsschutz. Die Habitatschutzrichtlinie (FFH-RL) aus dem Jahr 1992 ermöglicht für Pläne und Projekte eine Verträglichkeits- und Abwägungsprüfung. Mit der FFH-RL und der V-RL existiert ein umfassendes rechtliches Instrumentarium zu einem grenzübergreifenden Arten- und Biotopschutz in der Europäischen Union, das die dauerhafte Erhaltung der europäischen Lebensraumtypen und Arten in ihrem gesamten natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten soll. Das Europäische ökologische Netz "Natura 2000" besteht nach Art. 3 Abs. 1 FFH-RL aus zwei Arten von Schutzgebieten: zum einen aus ausgewiesenen Vogelschutzgebieten und zum anderen aus den nach der FFH-RL ausgewiesenen Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung.
1. Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG)
Rz. 38
Die Richtlinie betrifft die Erhaltung sämtlicher wildlebender Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten heimisch sind. Sie hat den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung dieser Arten zum Ziel und regelt die Nutzung dieser Arten. Sie gilt für Vögel, ihre Eier, Nester und Lebensräume (Art. 1 V-RL).
a) Allgemeine Verpflichtungen
Rz. 39
Die Mitgliedstaaten haben nach der Richtlinie die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Bestände der in Europa heimischen wildlebenden Vogelarten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen wird (Art. 2 V-RL).
Zur Erhaltung und Wiederherstellung der Lebensstätten und Lebensräume gehören insbesondere die Einrichtung von Schutzgebieten, Pflege und ökologisch richtige Gestaltung der Lebensräume in- und außerhalb von Schutzgebieten, Wiederherstellung zerstörter Lebensstätten sowie Neuschaffung von Lebensstätten (Art. 3 V-RL). In den Anhängen zur Richtlinie sind verschiedene geschützte Vogelarten genannt. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass sich die etwaige Ansiedlung wildlebender Vogelarten, die im europäischen Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht heimisch sind, nicht nachhaltig auf die örtliche Tier- und Pflanzenwelt auswirkt (Art. 11 V-RL). Die Mitgliedstaaten trifft eine dreijährige Berichtspflicht über die Anwendung der zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften (Art. 12 V-RL). Die Anwendung der Richtlinie darf in Bezug auf die Erhaltung aller in ihren Schutzbereich fallenden Vogelarten zu keiner Verschlechterung der derzeitigen Lage führen (Art. 13 V-RL). Insbesondere können die Mitgliedstaaten strengere Schutzmaßnahmen ergreifen, als in der Richtlinie vorgesehen sind (Art. 14 V-RL). Des Weiteren ist ein spezielles Verfahren zur Änderung der Richtlinie zum Zwecke der Anpassung der Anhänge an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt vorgesehen (Art. 15 bis 17 V-RL).
b) Auswahl der besonderen Schutzgebiete
Rz. 40
Über diese allgemeinen Maßnahmen hinaus verlangt Art. 4 Abs. 1 V-RL, dass für die in Anhang I V-RL aufgeführten Vögel besondere Schutzmaßnahmen für deren Lebensräume ergriffen werden, um das Ziel der V-RL zu verwirklichen. Für die Erhaltung dieser Vogelarten sieht die V-RL vor, die zahlen- und flächenmäßig "geeignetsten Gebiete" zu Schutzgebieten auszuweisen (sog. special protected areas – SPA). Auch für die nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten sind entsprechende Maßnahmen zu treffen (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 V-RL). Nach der Vogelschutzrichtlinie treffen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel in den genannten Schutzgebieten zu vermeiden. Die Mitgliedstaaten bemühen sich ferner, auch außerhalb dieser Schutzgebiete die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume zu vermeiden (Art. 4 Abs. 4 V-RL). Der EuGH hat entschieden, dass wirtschaftliche Betätigungen nicht zur Verkleinerung des Schutzgebiets führen dürfen. Dieser Schutz wurde durch die FFH-RL jedoch abgeschwächt (dazu sogleich weiter unten).
Für die Auswahl und die Ausweisung der besonderen Schutzgebiete sind die jeweiligen Mitgliedstaaten zuständig. Nach § 32 Abs. 1 BNatSchG wählen die Länder die Vogelschutzgebiete aus. Im Gegensatz zur FFH-RL kennt die V-RL kein formalisiertes konstitutives Meldeverfahren. Der Mitteilung der Vogelschutzgebiete gegenüber der Kommissio...