Rz. 70
Bei der Berechnung der Karenzentschädigung sind sämtliche vertraglichen Einkommensbestandteile zu berücksichtigen. Dazu gehören demnach: Leistungszulagen, Provisionen, 13. Gehalt, Gratifikationen, Urlaubsgeld, Natural- und Sachleistungen (vgl. dazu mit entsprechenden Rechtsprechungsnachweisen MünchArbR/Thüsing, § 74 Rn 47; Schaub/Vogelsang, ArbR-HdB, § 55 Rn 79). Naturalleistungen sind mit ihrem letzten Wert in die Berechnung der Karenzentschädigung einzubeziehen. Für die Bewertung von Sachbezügen gibt es weder gesetzliche Bestimmungen noch allgemein verbindliche Grundsätze. Sie sind nach den Grundsätzen in Rechnung zu stellen, wie sie für die Abgeltung von Sachleistungen gelten, also mit dem angemessenen, d.h. dem wirtschaftlichen Wert, der sich aus den für den Arbeitgeber entstehenden Kosten ergibt. Es bietet sich daher an, auf die regelmäßig erscheinenden ADAC-Kostentabellen zurückzugreifen (vgl. BAG v. 23.6.1994 – 8 AZR 537/92, NJW 1995, 348; a.A. LAG Hamm v. 30.3.2000 – 16 Sa 1684/99, EzA-SD 2000 Nr. 12). Dabei ist ggf. ein Abschlag zu machen, der auf die dienstliche Nutzung entfällt, die der Arbeitgeber ohnehin zu tragen hat. Der so ermittelte Betrag ist dann letztlich das, was der Arbeitnehmer monatlich hätte aufwenden müssen, um ein solches Fahrzeug privat zu nutzen. Damit wird auch Sinn und Zweck der Karenzentschädigung erfüllt, wonach dem Arbeitnehmer im Grunde das erhalten bleiben soll, was er bisher unter Verwertung seiner fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen verdient hat (vgl. Kopp, DAV-Jahrbuch 1997 der Arbeitsgemeinschaft Fachanwälte für Arbeitsrecht, S. 41; Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn 393). Zu den vertragsmäßigen Leistungen gehören ferner Tantiemen oder sonstige Gewinnbeteiligungen sowie noch nicht fällige Provisionen. Dabei kommt es bei diesen Einkommensbestandteilen nicht auf ihre Fälligkeit oder tatsächliche Auszahlung an, da maßgebend ist, wann die Leistungen des Arbeitnehmers erbracht worden sind. Berücksichtigungsfähig sind vielmehr die Zeiten, für die sie gezahlt werden (vgl. BAG v. 9.1.1990 – 3 AZR 110/88, AP § 74 HGB Nr. 59 = NJW 1990, 1870). Bei Einkommensbestandteilen in wechselnder Höhe (z.B. bei Prämien, Gratifikationen o.ä.) ist nach § 74b Abs. 2 HGB der Durchschnittsbetrag der letzten drei Jahre anzusetzen. Maßgebend ist i.Ü. was dem Arbeitnehmer im letzten Monat des Arbeitsverhältnisses zustand, denn die Höhe der Karenzentschädigung richtet sich gem. § 74 Abs. 2 HGB nach der letzten vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezogenen vertragsgemäßen Vergütung. Ist diese durch eine (wenn auch nur befristet geltende) Elternzeit zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung gemindert, so ist die Karenzentschädigung aus diesem reduzierten Gehalt und nicht aus dem nach Ende der Elternzeit erneut geltenden Vollzeitgehalt zu berechnen. Es ist weder auf die letzte vertragsgemäße Vergütung vor Beginn der Elternzeit noch auf den dreijährigen Bezugszeitraum gem. § 74b Abs. 2 S. 1 HGB abzustellen (BAG v. 22.10.2008 – 10 AZR 360/08, NZA 2009, 964). Daher genügt auch die Zusage einer Karenzentschädigung "von 50 % der vertragsmäßigen Leistungen der letzten 12 Monate vor dem Ausscheiden" nicht den Anforderungen des § 74 Abs. 2 HGB. Aus der gesetzlichen Systematik folge, dass es bezüglich der Festbezüge allein auf den letzten Beschäftigungsmonat ankomme und nicht auf den Durchschnitt der letzten 12 Monate (LAG Hamm v. 23.3.2010 – 14 SaGa 68/09, ArbRAktuell 2010, 352).
Rz. 71
Nicht zu den "vertragsmäßigen Leistungen" i.S.d. § 74 Abs. 2 HGB gehören: Vergütungen für Arbeitnehmererfindungen und Verbesserungsvorschläge, der Krankenversicherungszuschuss nach § 258 SGB V, Leistungen der betrieblichen Altersversorgung einschließlich Direktversorgung und Pensionskassenleistungen (auch bei Versteuerungspflicht der Beiträge bereits während der Beschäftigungszeit; Leistungen von Gehaltsumwandlungsversicherungen sind jedoch zu berücksichtigen, vgl. Schaub/Vogelsang, ArbR-HdB, § 55 Rn 79). Unberücksichtigt bleiben auch die Steuern, die der Arbeitnehmer für die vom Arbeitgeber gezahlte Entschädigung zahlen muss (vgl. LAG Hamm v. 1.7.1987 – 15 Sa 237/87, DB 1987, 2418).
Rz. 72
Ferner bleiben gem. § 74b Abs. 3 HGB Bezüge zum Ersatz besonderer Auslagen, wie z.B. Fahrtkostenersatz, Verpflegungspauschale etc. außer Betracht.
Wie kürzlich erst vom BAG am 25.8.2022 ausgeurteilt (Az.: 8 AZR 453/21) erhöhen auch sog. Restricted Stock Units (RSUs), also beschränkte Aktienerwerbsrechte, die zu leistende Entschädigung nicht, wenn, wie üblich, der Arbeitnehmer nur an Aktienbeteiligungsprogrammen der Muttergesellschaft beteiligt wird und die Tochtergesellschaft sich auch nicht vertraglich dazu verpflichtet hat, für die RSUs selbst einstehen zu wollen. Dadurch, dass das konkrete Arbeitsverhältnis im zu entscheidenden Fall nur mit einer Tochtergesellschaft bestand, sei als "vertragsgemäße Leistung" gem. § 74 Abs. 2 HGB allein auf solche Leistungen abzustellen, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrags beruhen un...