Dr. iur. Uwe Langohr-Plato
Rz. 642
Gem. § 613a Abs. 1 BGB liegt ein Betriebsübergang vor, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht, d.h. wenn die Befugnis, den Betrieb im eigenen Namen zu leiten, hinsichtlich des ganzen Betriebes oder eines bestimmten, selbstständigen Betriebsteiles auf einen Rechtsnachfolger überwechselt (sog. Einzelrechtsnachfolge/Singularsukzession). Hierbei wird der Betrieb oder Betriebsteil vom Inhaber (Veräußerer) durch Rechtsgeschäft auf einen neuen Inhaber (Erwerber) übertragen, so z.B. durch Verkauf, Verpachtung, Vermietung oder Bestellung eines Nießbrauchs.
a) Übertragung der Versorgungsverbindlichkeiten auf den Betriebserwerber
Rz. 643
Mit erfolgtem Betriebsübergang tritt der neue Betriebsinhaber in die Rechte und Pflichten aus dem im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnis ein, d.h. er erhält die volle Arbeitgeberstellung. Konsequenz hieraus ist auch die Fortgeltung der beim bisherigen Betriebsinhaber zurückgelegten Dienstzeiten. Den Betriebserwerber treffen mithin alle Pflichten, die von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängen, so z.B. bei der Berechnung der Kündigungsfristen oder der Warte- bzw. Unverfallbarkeitsfristen im Rahmen betrieblicher Versorgungsleistungen.
Rz. 644
Diese Rechtsfolgen können auch nicht durch Vertrag zwischen dem bisherigen Betriebsinhaber und dem Erwerber ausgeschlossen werden (st. Rspr., vgl. u.a. BAG v. 29.11.1988 – 3 AZR 250/87, NZA 1989, 425); ein solcher Vertrag wäre als Vertrag zulasten Dritter unwirksam und gem. § 134 BGB nichtig. § 613a BGB Abs. 4 S. 1 BGB verbietet nach Auffassung des BAG (v. 20.7.1982 – 3 AZR 58/78, DB 1979, 2431; BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, BB 1988, 831; BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, DB 1993, 145 = ZAP 1993, F. 17 R, S. 43 f. m. Anm. Langohr-Plato) neben der Kündigung auch Aufhebungsverträge aus Anlass des Betriebsüberganges, wenn sie vom Betriebsveräußerer oder -erwerber allein deshalb veranlasst werden, um dem bestehenden Kündigungsverbot auszuweichen. In dem als sog. "Lemgoer Modell" in die Rechtsgeschichte eingegangenen Fall hatte der Betriebserwerber den Arbeitnehmern des zu übernehmenden Unternehmens den Abschluss "neuer Arbeitsverträge" zugesichert, wenn sie ihre bestehenden Arbeitsverhältnisse kündigen würden (u.a. um eine Übernahme der bestehenden betrieblichen Altersversorgung auszuschließen). Auch für diesen Fall der sog. Eigenkündigung hat das BAG die Anwendung von § 613a BGB anerkannt, da das Vorgehen des Betriebserwerbers ausschließlich die Umgehung des durch § 613a BGB bezweckten Kündigungsschutzes verfolgte.
Rz. 645
Zulässig wäre jedoch ein Erlassvertrag zwischen dem neuen Arbeitgeber und den übernommenen Arbeitnehmern z.B. bzgl. rückständiger Löhne. Gegenstand eines solchen Erlassvertrages können auch freiwillig gewährte Sozialleistungen sein, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht (BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, NJW 1980, 1124). Ein entsprechender sachlicher Grund wäre zu bejahen, wenn durch den Erlass Arbeitsplätze erhalten werden können (vgl. BAG v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75, NJW 1977, 1168; BAG v. 26.1.1977 – 5 AZR 302/75, NJW 1977, 1470; BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, BB 1986, 1644).
Rz. 646
Mit dem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber enden die Arbeitsverhältnisse zum bisherigen Arbeitgeber. Dieser haftet allein für Ansprüche aus bereits fälligen Versorgungsleistungen und solchen aus unverfallbaren Versorgungsanwartschaften ausgeschiedener Mitarbeiter, da insoweit keine übergangsfähigen Arbeitsverhältnisse mehr bestehen.
Rz. 647
Dagegen wird der neue Inhaber mit dem Betriebsübergang zugleich auch Schuldner der mit den übernommenen Arbeitsverhältnissen zugleich übernommenen Versorgungsverpflichtungen.
Rz. 648
Durch den Betriebsübergang wird der Inhalt der Ruhegeldzusagen nicht verändert. Für den Erwerber besteht aber die Möglichkeit, im Rahmen einer Neuordnung den Leistungsplan für künftige Dienstjahre anders zu gestalten. Nach inzwischen gefestigter Rspr. des BAG (z.B. BAG v. 24.3.1977 – 3 AZR 649/76, NJW 1977, 1791; BAG v. 11.11.1986 – 3 AZR 194/85, NZA 1987, 559; BAG v. 24.3.1987 – 3 AZR 384/85, DB 1988, 123) sind vom Anwendungsbereich des § 613a BGB alle Rentner und Arbeitnehmer mit aufrechterhaltener unverfallbarer Anwartschaft ausgeschlossen, die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs das Unternehmen bereits verlassen haben. Das bedeutet aber, dass sowohl Pensionäre als auch ausgeschiedene Arbeitnehmer mit unverfallbarer Versorgungsanwartschaft ihre Ruhegeldansprüche nach wie vor ggü. dem Veräußerer geltend machen können, und zwar unabhängig davon, ob daneben auch der Erwerber aus anderen Rechtsgründen, etwa wegen Vermögensübernahme i.S.d. § 419 BGB oder wegen Firmenfortführung gem. § 25 HGB für die Ruhegeldverpflichtungen in Anspruch genommen werden kann.
Rz. 649
Zur Begründung hat das BAG auf den Zweck des BetrAVG verwiesen, das einen möglichst lückenlosen Insolvenzschutz habe schaffen wollen. Das BAG sieht es für gerechtfertigt an, private Schuldübernahmen von bereits entstandenen Ruhegeldverbindlichk...