Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 301
Die Vorschrift beinhaltet das sog. Familienprivileg, wonach der Forderungsübergang nach Abs. 1 ausgeschlossen ist, wenn bei nicht vorsätzlichen Schädigungen durch Familienangehörige diese mit dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen in häuslicher Gemeinschaft leben (§ 116 Abs. 6 S. 1 SGB X). Ein Ersatzanspruch nach Abs. 1 kann dann nicht geltend gemacht werden, wenn der Schädiger mit dem Geschädigten oder einem Hinterbliebenen nach Eintritt des Schadensereignisses die Ehe geschlossen hat und in häuslicher Gemeinschaft lebt (§ 116 Abs. 6 S. 2 SGB X). Die Vorschrift geht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 1542 RVO a.F. zurück, nach der hier § 86 Abs. 3 VVG (§ 67 Abs. 2 VVG a.F.) analog anzuwenden ist. Hierzu, zum sog. Haushaltsangehörigenprivileg und zur Rechtsprechung wird auf Rdn 7 verwiesen.
Rz. 302
Das sog. Familienprivileg dient einem doppelten Zweck. Im Interesse des häuslichen Familienfriedens soll zum einen verhindert werden, dass Streitigkeiten über die Verantwortung von Schadenszufügungen unter Familienangehörigen ausgetragen werden. Gleichzeitig soll vermieden werden, dass der Versicherte durch den Rückgriff mittelbar selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. Familienangehörige, die in häuslicher Gemeinschaft zusammenleben, bilden meist eine wirtschaftliche Einheit, sodass bei Durchführung des Rückgriffs der Geschädigte im praktischen Ergebnis das, was er mit der einen Hand erhalten hat, mit der anderen wieder herausgeben muss.
Rz. 303
Bei der inhaltlichen Konkretisierung, wer "Familienangehöriger" im Sinne der Vorschrift ist, geht der Bundesgerichtshof vom Normzweck unter Berücksichtigung der zu § 67 VVG entwickelten Rechtsprechung aus. Familienangehörige sind hiernach Eheleute, darüber hinaus im Rechtssinn Verwandte und Verschwägerte unabhängig vom Grad der Verwandtschaft, ohne dass es auf das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht ankommt; ferner Stief- und Adoptivkinder bzw. -eltern, ggf. auch deren Geschwister und Ehegatten; ferner Großeltern und Enkel, Onkel/Tanten und Neffen bzw. Nichten. Bei Pflegekindern gilt dies nicht generell, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen. Keine Familienangehörigen sind Verlobte und Eheleute nach der Scheidung.
Rz. 304
Nach der Grundsatzentscheidung im Urteil vom 5.2.2013 ist § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X analog auch auf Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft anwendbar. Sie stehen insoweit "Familienangehörigen" im Sinne dieser Vorschrift gleich.
Rz. 305
Der Familienangehörige muss im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses mit dem Geschädigten bzw. dessen Hinterbliebenen in einer häuslichen Gemeinschaft leben (§ 116 Abs. 6 S. 1 SGB X). "Häusliche Gemeinschaft" liegt vor, wenn die Lebens- und Wirtschaftsführung auf Dauer in einem gemeinsamen Haushalt (gemeinsame Wohnung, gemeinsames Haus) praktiziert wird. Ob eine häusliche Gemeinschaft als gelöst zu gelten hat, hängt davon ab, ob äußere Gründe (z.B. Wehrdienst, längere berufliche Abwesenheit (Seemann), Aufenthalt in Kur- oder Heilstätte) vorliegen oder ob eine willkürliche Lösung vom Lebensmittelpunkt vollzogen wird.
Rz. 306
Ebenfalls kein Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X besteht, wenn der Geschädigte im Unfallzeitpunkt mit dem in Anspruch genommenen Erben des Schädigers in häuslicher Gemeinschaft lebte. Es handelte sich darum, dass der beim Unfall verletzte Bruder die Eltern, mit denen er in häuslicher Gemeinschaft lebte, als Erben des auswärts wohnenden und beim Unfall getöteten Bruders in Anspruch nahm.
Rz. 307
Familienangehörigkeit und häusliche Gemeinschaft müssen nach § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X im Zeitpunkt des Unfalls vorgelegen haben. Die spätere Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft ist unerheblich. Der Ausschluss des Forderungsübergangs wirkt auch dann fort, wenn die Ehe später geschieden wurde oder wenn der Geschädigte stirbt. Für den Ausschluss des Forderungsübergangs reicht es aber auch aus, wenn der Schädiger mit dem Geschädigten oder einem Hinterbliebenen nach Eintritt des Schadensereignisses die Ehe geschlossen hat und in häuslicher Gemeinschaft lebt (§ 116 Abs. 6 S. 2 SGB X). Die Ehe und die häusliche Gemeinschaft müssen zur Zeit der Inanspruchnahme durch den Sozialversicherungsträger begründet sein, spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht, und zwar auch dann, wenn die Beteiligten zum Unfallzeitpunkt noch nicht einmal verlobt waren.
Rz. 308
Hat der Schädiger Regressansprüche bereits vor der Eheschließung erfüllt, hat er keinen Anspruch auf Rückerstattung. Das OLG Nürnberg hat die analoge Anwendung des § 116 Abs. 6 S. 2 SGB X abgelehnt, wenn nach dem Unfall Familienangehörige eine häusliche Gemeinschaft begründen (z.B. Sohn nimmt den verletzten Vater in seinem Haushalt auf, um ihn besser pflegen zu können).
Rz. 309
§ 116 Abs. 6 S. 1 SGB X führt ausweislich des Gesetzeswortlauts zum Ausschlus...