Rz. 90
Unterbleibt etwa der Hinweis an den vertretenen Arbeitnehmer, dass jedes Kündigungsschreiben dem Anwalt zur Kenntnis gebracht werden muss, auch wenn bereits eine Kündigungsschutzklage anhängig ist, so kann dies zur Haftung führen, insbesondere wenn kein allgemeiner Feststellungsantrag gestellt wird. Der BGH bejaht eine Haftung dem Grunde nach, wenn ein Rechtsanwalt eine Kündigungsschutzklage nur gegen eine ihm bekannte Kündigung erhebt, obwohl er Anhaltspunkte dafür hat, dass dem Mandanten möglicherweise bereits zuvor gekündigt worden ist. Der im Arbeitsrecht herrschende punktuelle Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage, mit der man nur die Wirksamkeit einer einzelnen Kündigung feststellen lässt, führt mitunter zur Stellung eines weiteren allgemeinen Feststellungsantrags (sog. Schleppnetzantrag). Damit lässt sich sicherstellen, dass auch weitere Kündigungserklärungen rechtzeitig angegriffen werden. Sobald der beklagte Arbeitgeber im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erklärt, es gäbe keine weiteren (noch auszusprechenden) Kündigungen, kann der Antrag zurückgenommen werden. Dies ist sinnvoll, da andernfalls der Schleppnetzantrag mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig abzuweisen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt wird dem Schleppnetzantrag kein eigener Streitwert beigemessen. Dies ändert sich jedoch, sobald den Arbeitnehmer weitere Kündigungen erreichen.
Rz. 91
Zum Bereich der Aufklärungspflichten gehört auch die Verpflichtung, durch ergänzende Fragestellung alle, vom Mandanten bislang nicht vorgetragenen Einzelheiten zu klären, auf die es für die rechtliche Beurteilung ankommen kann. Grundlegend in diesem Kontext ist die Entscheidung des BGH vom 21.11.1960: "Die Pflicht des Rechtsanwalts zu vollständiger Beratung setzt voraus, dass er zunächst durch Befragen seines Auftraggebers die Punkte klärt, auf die es für die rechtliche Beurteilung ankommen kann, und dabei auch die in der Sache liegenden Zweifel, die er als Rechtskundiger erkennen kann und muss, während sie auch einem geschäftsgewandten Rechtsunkundigen verborgen bleiben können, bedenkt und erörtert. Wo solche Zweifel bestehen können, darf der Rechtsanwalt sich nicht mit der rechtlichen Würdigung des ihm Vorgetragenen begnügen, sondern muss sich bemühen, durch Befragung des Ratsuchenden ein möglichst vollständiges und objektives Bild der Sachlage zu gewinnen. Er muss dabei durch richtige Fragen an seinen Auftraggeber die tatsächlichen Grundlagen ans Licht bringen, d.h. die Information, die er für eine richtige und umfassende Beratung braucht, schaffen und ergänzen." Schließlich hat der Anwalt alle Angaben des Mandanten, der zumeist juristischer Laie ist, kritisch zu überprüfen. Dies gilt in erster Linie für Rechtsbegriffe, die der Mandant verwendet.
Rz. 92
Der Rechtsanwalt muss über rechtliche Chancen und Risiken aufklären und auf Grundlage des damit gewonnenen Sachverhaltes beraten. So ist bei Arbeitgebermandaten grundsätzlich zu klären, ob ein Kleinbetrieb i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG vorliegt oder nicht. Unterbleibt der entsprechende Hinweis und damit die entsprechende Aufklärung, so macht sich der Rechtsanwalt schadensersatzpflichtig. Nach der Reform im Rahmen der Agenda 2010 wird man Arbeitgeber bei kleineren Einheiten intensiv befragen müssen, ob beim konkret gekündigten oder zu kündigenden Arbeitnehmer das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet oder nicht. Der Arbeitgeber ist insbesondere über die Stichtagsregelung aufzuklären, vgl. § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG.
Rz. 93
Belehrt man einen Arbeitgeber nicht über die Folgen eines Abfindungsvergleiches mit einem Arbeitnehmer, der zur Anwendung des § 158 SGB III führt, so wird man sich ebenfalls schadensersatzpflichtig machen.
Rz. 94
Belehrt man einen Arbeitnehmer nicht über die Folgen eines Aufhebungsvertrages/Abfindungsvergleiches (steuerlich/sozialversicherungsrechtlich etc.), so läuft man wiederum Gefahr, Schadensersatz leisten zu müssen.