Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 219
Die Frage, ob eine betriebliche Tätigkeit vorliegt, ist für die Anwendbarkeit des § 105 Abs. 1 SGB VII von primärer Bedeutung. Die Haftungsbeschränkung greift nur dann ein, wenn der Schädiger eine betriebliche Tätigkeit ausgeübt hat.
Rz. 220
Der Begriff "betriebliche Tätigkeit" bezieht sich also auf den Schädiger, während die Voraussetzungen für die Annahme eines Versicherungsfalls in der Person des Geschädigten erfüllt sein müssen. Liegt eine betriebliche Tätigkeit nicht vor, so brauchen die weiteren Voraussetzungen des § 105 SGB VII nicht mehr geprüft zu werden. Begrifflich ist die Frage, ob eine betriebliche Tätigkeit vorliegt, davon zu unterscheiden, ob ein Versicherungsfall vorliegt. Dies ist aus der Person des Verletzten, zu beurteilen, während die Frage der betrieblichen Tätigkeit aus der Person des Schädigers zu beurteilen ist.
Rz. 221
Der Begriff der betrieblichen Tätigkeit ist ein objektiver Begriff. Bei der betrieblichen Tätigkeit muss es sich um eine Tätigkeit handeln, die der betreffende Arbeitnehmer für den Betrieb leistete; die Tätigkeit muss betriebsbezogen gewesen sein. Der Begriff "betriebliche Tätigkeit" schließt auch eine betriebsbezogene und den Betriebsinteressen dienende Tätigkeit ein, zu der der Beschäftigte zwar nicht beauftragt, aber befugt ist. War die Tätigkeit objektiv dem Betrieb nicht dienlich, durfte der Arbeitnehmer aber ohne grobe Fahrlässigkeit annehmen, dass sie es sein, ist betriebliche Tätigkeit zu bejahen. Der notwendige innere Zusammenhang zwischen der betrieblichen Tätigkeit und dem Schadensereignis ist erst dann zu verneinen, wenn die Tätigkeit nicht mehr betriebliche Zwecke verfolgt, sondern die durch die Eigeninteressen des Arbeitnehmers bedingte Art und Weise der Tätigkeit als entscheidende Schadensursache anzusehen ist.
Rz. 222
"Betrieblich" ist eine Tätigkeit, die dem Schädiger entweder ausdrücklich von dem Betrieb und für den Betrieb übertragen ist oder die er im Interesse des Betriebes ausführt, die in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis steht und in diesem Sinne betriebsbezogen ist. Entscheidend ist nicht, ob die zu dem schädigenden Ereignis führende Arbeitstätigkeit zum eigentlichen Aufgabengebiet des Beschäftigten gehört; sie muss zumindest überhaupt mit dem Betriebszweck in Zusammenhang stehen. Steht das schädigende Ereignis mit dem Betrieb in keinem oder nur noch in losem Zusammenhang, fällt sie in das allgemeine Lebensrisiko des Arbeitnehmers.
Rz. 223
Einzelfälle:
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Mangelnde Beaufsichtigung jugendlicher Arbeiter, die sich bei Spielereien im Betrieb verletzen, ist ein Mangel einer im Betrieb erforderlichen Tätigkeit und begründet daher die Anwendbarkeit der §§ 636, 637. |
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Es bleibt abzuwägen, ob der Spieltrieb der beteiligten Arbeitnehmer ursächlich im Vordergrund für die Herbeiführung des Unfalls stand oder betriebliche Einrichtungen. |
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Keine betriebliche Tätigkeit bei einer Rauferei, die nicht mit der betrieblichen Beschäftigung zusammenhängt. |
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Auch ein vom Betrieb finanzierter Theaterbesuch ist keine betriebliche Tätigkeit. |
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Eine Brandstiftung durch Benutzung eines Feuerzeuges durch einen Lehrling im Betrieb ist keine betriebliche Tätigkeit. |
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Die Tatsache, dass der Schädiger bei der Verrichtung der ihm aufgetragenen Arbeit fehlerhaft verfährt, schließt den Charakter als betriebliche Tätigkeit nicht aus. So liegt betriebliche Tätigkeit z.B. auch dann vor, wenn der Schädiger (z.B. Kraftfahrzeugfahrer) sich durch Alkohol vom Unternehmen gelöst hat. Auch die verbotswidrige Beschäftigung von Kindern steht dem Haftungsausschluss nicht entgegen. |
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Ein Schaden, den der Schädiger bei Gelegenheit seiner Arbeit im Betrieb durch eine gefahrenträchtige Spielerei verursacht, wird von der Haftungsfreistellung nicht erfasst; dies gilt auch dann, wenn die Schädigung unter zweckwidriger, missbräuchlicher Verwendung eines Betriebsmittels (hier: Reitpeitsche) herbeigeführt wird. |
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Wenn ein Arbeitnehmer während der Ausführung seines Auftrages für seinen Geschäftsherrn eine Nebentätigkeit in eigenem Interesse übernimmt, so ist dies keine betriebliche Tätigkeit für den Arbeitgeber, sodass § 105 SGB VII in diesem Zusammenhang keine Anwendung finden kann. |
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Wenn eine mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben betraute Person in einem fremden Betriebe Kontrollen durchführt, so schließt das sich aus der Hoheitsaufgabe ergebende Verhältnis zu dem anderen Betrieb die Annahme aus, dass der Betreffende gleichzeitig in diesem Betrieb tätig ist. Vielmehr ist er dann immer nur in Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben tätig, sodass die Anwendbarkeit der Vorschriften des SGB VII nicht in Betracht kommt. |
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Die Herbeiführung eines Wegeunfalls stellt auch keine betriebliche Tätigkeit dar, weil der Weg von und zur Arbeitsstelle keine betriebliche Verrichtung ist und weil Wegeunfälle nur für die Gewährung des Versicherungsschutzes als solchen gelten. |