A. Einführung
Rz. 1
Der Arbeitnehmer mandatiert einen Anwalt in der Regel, wenn er eine Kündigung erhalten hat. Dagegen kann der Zeitpunkt, in dem ein Arbeitgeber einen Rechtsanwalt einschaltet, sehr unterschiedlich sein. Zum Teil wird der Anwalt bereits tätig, um eine Kündigung vorzubereiten und auszusprechen. Häufig sucht der Arbeitgeber aber aus Kostenerwägungen oder wegen mangelnden Problembewusstseins im Hinblick auf die an Kündigungen gestellten Anforderungen erst dann Rat, wenn er die Kündigung ausgesprochen hat und ihm eine Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers zugestellt worden ist. Es kommt auch vor, dass Arbeitgeber – ebenfalls meist aus Kostengründen – sich in der Güteverhandlung selbst vertreten und erst nach deren Scheitern anwaltliche Beratung suchen. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf die praktisch häufigsten Fälle, in denen bereits ein Kündigungsschutzverfahren anhängig ist. Der Arbeitgebervertreter wird also bis zu einem gewissen Grad mit "vollendeten Tatsachen" konfrontiert und muss nun für den Arbeitgeber den besten Weg zur Beendigung des Rechtsstreits finden.
B. Bestimmung des Prozessrisikos
Rz. 2
Kennt der Anwalt den Arbeitgeber nicht und vermag er nicht einzuschätzen, ob dieser auch nur Grundkenntnisse des Arbeitsrechts mitbringt, dürfte sich im ersten Bearbeitungsschritt die rechtliche Prüfung empfehlen, ob die ordentliche Kündigung überhaupt dem Kündigungsschutzgesetz unterfällt, d.h., ob dessen persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich eröffnet ist. Der persönliche Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung länger als sechs Monate bestanden hat (§ 1 Abs. 1 KSchG). Der sachliche Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn im Betrieb mehr als zehn vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt sind. Findet das KSchG keine Anwendung, sind weitere Unwirksamkeitsgründe noch zu prüfen, also insbesondere, ob die Kündigung an formalen Mängeln leidet, ob Regeln über einen besonderen Kündigungsschutz greifen und ob die Kündigung das auch im Kleinbetrieb zu wahrende Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme überschreitet. Können auch weitere mögliche Unwirksamkeitsgründe nach rechtlicher Prüfung verneint werden und ist die Kündigungsfrist ebenfalls zutreffend gewählt, so besitzt die Kündigungsschutzklage keine Aussicht auf Erfolg. Es empfiehlt sich, dem Anwalt des Arbeitnehmers das Ergebnis der eigenen rechtlichen Prüfung mitzuteilen und ihn aufzufordern, Unwirksamkeitsgründe mitzuteilen. Reagiert der Gegenanwalt nicht, sollte versucht werden, in einer zeitnah stattfindenden Güteverhandlung eine Klärung herbeizuführen. Bei solchen Konstellationen besteht das einzige "Prozessrisiko" darin, dass der Anwalt von (für ihn nicht erkennbaren) fehlerhaften tatsächlichen Grundlagen ausgeht bzw. einer rechtlichen Fehleinschätzung unterliegt. Sind alle Aspekte zutreffend gewürdigt, besteht kein Prozessrisiko und damit grundsätzlich auch keine Veranlassung, eine nennenswerte Abfindung zu leisten. Ähnlich sind die Fälle zu bewerten, in denen der Arbeitgeber eine außerordentliche fristlose Kündigung und hilfsweise eine – im Sinne des oben Ausgeführten – nicht mit Erfolg angreifbare ordentliche Kündigung ausgesprochen hat (oder eine solche hilfsweise ordentliche Kündigung im Nachgang ausgesprochen werden kann): Der Arbeitgebervertreter kann hier sozusagen mit "Sicherheitsnetz" agieren, im Streit über die außerordentliche Kündigung beschränkt sich das finanzielle Risiko i.d.R. auf die während der Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist anfallenden Zahlungsverpflichtungen, ggf. ist noch über Urlaubs-(abgeltungs-)ansprüche zu reden. Zusammenfassend gesagt, stellen Fälle ordentlicher Kündigungen, auf die das KSchG keine Anwendung findet, meist in taktischer Hinsicht an den Arbeitgebervertreter keine besonderen Anforderungen.
Rz. 3
Unterfällt die ausgesprochene Kündigung hingegen dem Kündigungsschutzgesetz, ist zur Bearbeitung gerade auf Arbeitgeberseite erhebliches taktisches Gespür erforderlich. Es empfiehlt sich hier im Sinne einer rationellen Bearbeitung, zunächst eine Bestimmung des dem Kündigungsschutzprozess für den Arbeitgeber innewohnenden finanziellen Risikos vorzunehmen. Die rechtliche Prüfung der Wirksamkeit einer Kündigung kann erheblichen Aufwand bedeuten. Dieser Aufwand erweist sich aber in denjenigen Fällen als unnütz, in denen zur Zufriedenheit des Arbeitgebers eine zügige vergleichsweise Lösung herbeigeführt werden kann. Im Rahmen solcher Vergleichsverhandlungen kommt es oft auch nicht einmal auf die Frage an, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich die Kündigung als wirksam erweist. Selbst eine an evidenten rechtlichen Mängeln leidende Kündigung führt bei Vergleichsverhandlungen dann nicht zu Nachteilen oder der Notwendigkeit von Konzessionen, wenn keine oder nur geringe finanzielle Risiken im Raum stehen.
I. Einschätzung des Annahmeverzugslohnrisikos
Rz. 4
Gerät der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die...