Rz. 747
Nach § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG besteht eine Vermutung für die Rechtfertigung der Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse, sofern bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die zu kündigenden Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich namentlich bezeichnet sind. Die Vermutungswirkung erstreckt sich auf den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit, nicht jedoch auf das Fehlen anderer Unwirksamkeitsgründe, z.B. Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 BetrVG. Will der Arbeitnehmer die Vermutung widerlegen, muss er Tatsachen vortragen, die die gesetzliche Vermutung ausschließen.
Rz. 748
Nach § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG ist eine Überprüfung der Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit möglich. Diese Prüfung bezieht sich auch auf die Vergleichsgruppenbildung. Grob fehlerhaft ist, was jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Nur eine Gewichtung, die jegliche Ausgewogenheit vermissen lässt, ist grob fehlerhaft. Allein der Umstand, dass der Sozialauswahl die falsche Annahme zugrunde liegt, die Beschäftigungsfiliale sei ein eigenständiger Betrieb, reicht nicht aus, eine grob fehlerhafte Sozialauswahl i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG anzunehmen. Eine Sozialauswahl ist nicht grob fehlerhaft, wenn der Punkteabstand angesichts der zugrundeliegenden Daten marginal erscheint.
Rz. 749
Die Vermutungen gelten nicht bei wesentlicher Änderung der Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleiches (§ 1 Abs. 5 S. 3 KSchG). Es muss sich um einen Wegfall bzw. eine Störung der Geschäftsgrundlage handeln. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung ist der Zugang der Kündigung.
Rz. 750
Für die Interpretation des § 1 Abs. 5 KSchG kann auf die bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden.
§ 1 Abs. 5 KSchG setzt eine interessensausgleichspflichtige Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG voraus. Erforderlich ist die namentliche Nennung der betroffenen Arbeitnehmer. Gem. § 77 Abs. 2 BetrVG, § 126 BGB besteht Schriftformerfordernis. Eine feste Verbindung von Interessenausgleich und Namensliste ist nicht erforderlich. Wird die Namensliste getrennt vom Interessenausgleich erstellt, reicht es aus, wenn sie von den Betriebsparteien unterzeichnet und mit ihr auf den Interessenausgleich oder im Interessenausgleich auf sie Bezug genommen worden ist. Die Beifügung als Anlage, z.B. in einer gemeinsamen Klarsichthülle, reicht nicht aus, weil die Namensliste unter solchen Umständen problemlos ausgetauscht werden könnte. Die Schriftform eines Interessenausgleiches mit Namensliste ist aber dann gewahrt, wenn die in der Anlage zum Interessenausgleich beigefügte, aber nicht unterschriebene Namensliste mit diesem – etwa mittels einer Heftmaschine – fest verbunden ist. Ist der Interessenausgleich zeitlich vor einer Zusatzvereinbarung zum Interessenausgleich und der Namensliste abgeschlossen worden, kann dieser nicht auf die Namensliste verweisen. Das Erfordernis der Einheit der Urkunde, das als Voraussetzung der Schriftform dem in § 126 Abs. 2 BGB vorgesehenen Regelfall eines Schriftstücks zu entnehmen ist, ist nicht bereits dann erfüllt, wenn eine bloß gedankliche Verbindung (Bezugnahme) zur Haupturkunde besteht (hier Verbindung zwischen Zusatzurkunde und Namensliste). Vielmehr muss die Verbindung auch äußerlich durch tatsächliche Beifügung der in Bezug genommenen Urkunde zur Haupturkunde in Erscheinung treten. Deshalb müssen im Augenblick der Unterzeichnung die Schriftstücke als einheitliche Urkunde äußerlich erkennbar werden. Eine erst nach Unterzeichnung vorgenommene Zusammenheftung mittels Heftmaschine genügt daher dem Schriftformerfordernis nicht. Im Falle eines Interessenausgleichs mit Namensliste ohne anfängliche feste körperliche Verbindung von Interessenausgleich und Namensliste ist die Schriftform nicht gewahrt, wenn zwar der Interessenausgleich auf eine Namensliste verweist, jedoch in der Namensliste eine Rückverweisung auf den Interessenausgleich fehlt.
Rz. 751
Besteht eine Betriebsänderung aus bloßem Personalabbau, obliegt es dem sich auf die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG berufenden Arbeitgeber, darzulegen, dass die Maßnahme, die zur Kündigung geführt hat, erhebliche Teile der Belegschaft betroffen hat. Dies erfordert vor allem den substantiierten Vortrag, wie der Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn abzugrenzen ist, in dem die geltend gemachte Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG vorgenommen worden ist.
Rz. 752
Die Erstellung eines Interessenausgleichs mit Namensliste entbindet den Arbeitgeber nicht von der Anhörung des Betriebsrats zu den entsprechenden Kündigungen nach § 102 BetrVG.