Rz. 36

Bei Radfahrern nimmt die Rechtsprechung eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung (absolute Fahruntüchtigkeit) ab Erreichen einer BAK von 1,6 Promille unwiderleglich an.[71] Bei unterhalb dieses Wertes liegender BAK müssen Ausfallerscheinungen hinzutreten, die auf eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung schließen lassen, oder Fahrfehler festgestellt sein, die typischerweise auf Alkoholgenuss zurückzuführen sind. Ähnliches dürfte bei Reitern gelten.[72]

 

Rz. 37

Bei Fußgängern nimmt die Rechtsprechung im Wege des Anscheinsbeweises eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung sowie die Unfallursächlichkeit der Bewusstseinsstörung an, wenn annähernd ein BAK-Wert von 2 Promille erreicht ist. Dieser Grenzwert ist höher als etwa beim Kraftfahrer oder Radfahrer, da dort höhere Anforderungen an die im Verkehr erforderliche Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Geschicklichkeit gestellt werden.

Der 2 Promille-Wert bedeutet nicht zwingend, dass eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung und absolute Verkehrsuntauglichkeit vorliegt, mit der Folge, dass die Rechtsprechung teils zu widersprüchlichen Entscheidungen kommt.[73] Im Einzelfall wird bei Werten unter 2 Promille eine unfallursächliche Bewusstseinsstörung als bewiesen angenommen, wenn ein grobes Fehlverhalten vorliegt.[74] In diesem Sinne kann also eine relative Verkehrsuntüchtigkeit (und damit eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung) begründet werden, wenn Ausfallerscheinungen hinzutreten. Es müssen also weitere Anhaltspunkte vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit des Fußgängers so beeinträchtigt war, dass er der konkreten Gefahrenlage nicht mehr ausreichend gewachsen war.[75]

 

Rz. 38

 

Beispiel alkoholbedingte Bewusstseinsstörung bejaht

OLG Hamm:[76] Geht ein Fußgänger nachts mit 1,8 Promille beim Überqueren einer Straße schräg auf einen bis ca. 30 m herangekommenen Pkw zu, so spricht das für eine alkoholbedingte Fehlsteuerung und relative Verkehrsuntüchtigkeit.
OLG Saarbrücken:[77] Hält sich ein Fußgänger bei einem Blutalkoholgehalt von 2,15 Promille nachts längere Zeit mitten auf einer Landstraße auf, so besteht kein Versicherungsschutz wegen Bewusstseinsstörung.
OLG Braunschweig:[78] Schwankt ein Fußgänger mit einer BAK von 1,71 Promille vor dem Unfall erheblich und geht er auf der rechten Fahrbahn mit einem Abstand von 1,80 m vom rechten Fahrbahnrand entfernt, so beruht eine nachfolgende Kollision mit einem Pkw trotz der überhöhten Geschwindigkeit des Pkw auf der alkoholbedingten Bewusstseinsstörung.
 
Praxis-Beispiel
LG Ellwangen:[79] Ab einer BAK von 2 Promille ist bei einem Fußgänger tendenziell vom Vorliegen einer Bewusstseinsstörung auszugehen. Gerät er ins Stolpern und stürzt erst 10 m später, so spricht dies für eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung.
LG Köln:[80] Überquert ein Fußgänger mit mindestens 1,87 Promille nachts bei Regen eine ca. 5,5 m breite, gerade verlaufende, gut einzusehende Straße innerorts und wird er dabei von einem Motorroller überfahren, für dessen Fahrer der Unfall verkehrstechnisch unvermeidbar war, so spricht die Alkoholisierung zusammen mit dem Fehlverhalten für eine den Versicherungsschutz ausschließende Bewusstseinsstörung.
 

Beispiel alkoholbedingte Bewusstseinsstörung abgelehnt

OLG Karlsruhe:[81] Ist ein alkoholgewöhnter Fußgänger bei einem Blutalkoholgehalt von 2 Promille in einen Straßengraben gestürzt, ohne dass festgestellt werden kann, wie es zu dem Sturz gekommen ist, so kann nach den Grundsätzen des Anscheinbeweises nicht davon ausgegangen werden, dass die Alkoholbeeinflussung zumindest mitursächlich für den Unfall gewesen ist. Denn nach den hier unbekannten Umständen kann auch ein Nüchterner nachts versehentlich in einen Straßengraben stürzen.
OLG Köln:[82] Ein Fußgänger mit einem BAK-Wert von annähernd 1,9 Promille lässt nicht deswegen Ausfallerscheinungen erkennen, weil er innerorts von einem Pkw mit überhöhter Geschwindigkeit erfasst wird.
 

Rz. 39

Bei Mitfahrern von fahruntüchtigen Fahrern ist die Frage zu klären, ob die VP trotz ihrer Alkoholisierung die ihr selbst drohenden Gefahren der in Aussicht genommenen Mitfahrt bei einem fahruntauglichen Kraftfahrzeugführer erkennen und sich entsprechend darauf einrichten konnte.[83] Nach der Rechtsprechung liegt die Erkenntnisfähigkeit des Mitfahrers ab einer BAK von 2 Promille regelmäßig nicht mehr vor.[84]

 

Hinweis

Beruht der Unfall des Mitfahrers auf eigenem Handeln, z.B. indem er ins Lenkrad greift, so wird auch eine BAK von unter 2 Promille ausreichen, um eine unfallursächliche alkoholbedingte Bewusstseinsstörung anzunehmen; denn hier ist – wie beim Kraftfahrer – die Aufnahme- und Gegenwirkungsfähigkeit angesprochen und nicht die Beurteilungsfähigkeit.[85]

 

Rz. 40

Nach dem BGH[86] ist die Erkenntnisfähigkeit bei einer BAK des Mitfahrers von 1,89 Promille noch nicht ohne weiteres ausgeschlossen oder wesentlich beeinträchtigt. Eine Bewusstseinsstörung kann danach in diesen Fällen nur angenommen werden, wenn Ausfallersch...

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