Rz. 99
Gem. § 20 Abs. 2 WEG kann jeder Wohnungseigentümer bestimmte "privilegierte" bauliche Veränderungen (Ladestationen usw.) verlangen; diese werden in einen eigenen Abschnitt behandelt (→ § 4 Rdn 150). Darüber hinaus kann gem. § 20 Abs. 3 WEG "jeder Wohnungseigentümer verlangen, dass ihm eine bauliche Veränderung gestattet wird, wenn alle Wohnungseigentümer, deren Rechte durch die bauliche Veränderung über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt" werden, einverstanden sind“. Das Gesetz greift damit die Formulierung der §§ 22 Abs. 1, 14 Nr. 1 WEG a.F. auf; nach diesen Bestimmungen des alten Rechts waren bauliche Veränderungen rechtmäßig, wenn alle Eigentümer zustimmten, die durch die Maßnahme einen Nachteil hinzunehmen hatten, der über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausging. Insofern bleibt die umfangreiche zum alten Recht ergangene Rspr., insbesondere zum Nachteilsbegriff, auch im neuen Recht von Bedeutung. Im alten wie im neuen Recht gilt, dass die Begriffe "Beeinträchtigung" (§ 20 Abs. 3) und "Nachteil" (§ 14 Abs. 1 Nr. 2) das Gleiche bedeuten. Aus § 20 Abs. 3 WEG ergibt sich somit zusammengefasst: Jeder kann die Gestattung solcher baulichen Veränderungen verlangen, die die anderen Wohnungseigentümer nicht […] beeinträchtigen (die mithin nach dem alten Recht zustimmungsfrei waren). Sollten nur einzelne Eigentümer beeinträchtigt sein (und nicht alle), besteht ein Anspruch auf den Gestattungsbeschluss, wenn die beeinträchtigten Eigentümer mit der Maßnahme einverstanden sind.
Rz. 100
Eine Beeinträchtigung i.S.v. § 20 Abs. 3 liegt vor, wenn sich ein Wohnungseigentümer in einer vergleichbaren Lage nach der Verkehrsanschauung bzw. in objektiv verständiger Weise beeinträchtigt fühlen kann. Das subjektive Empfinden ist nicht maßgeblich. Die Eingriffsschwelle ist niedrig anzusetzen; nur ganz geringfügige Beeinträchtigungen bleiben außer Betracht. Eine Beeinträchtigung bzw. ein Nachteil kann vor allem in folgenden Fällen vorliegen:
▪ |
Es erfolgt ein Eingriff in Gebäudeteile, die für Sicherheit und Statik von Bedeutung sind (tragende Wände, Dach usw.). |
▪ |
Der optische Gesamteindruck der Wohnanlage wird verändert. Ist die optische Veränderung erheblich, also von außen sichtbar, dann ist ein Nachteil regelmäßig anzunehmen. Ob eine erhebliche optische Veränderung des Gebäudes als schön empfunden wird oder nicht, ist unerheblich, denn das können auch verständige Wohnungseigentümer unterschiedlich bewerten. |
▪ |
Die künftige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums (z.B. der Fassade oder des Dachs) wird erschwert; das Angebot einer finanziellen Kompensation lässt den Nachteil nicht entfallen. |
▪ |
Die Maßnahme ermöglicht eine intensivere Nutzung der Räumlichkeiten (z.B. durch den Einbau von Fenstern oder durch eine Vergrößerung der Wohnfläche). |
Rz. 101
Liegt eine Beeinträchtigung bzw. ein Nachteil vor, ist eine Abwägung vorzunehmen und festzustellen, ob der Nachteil das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß übersteigt. Das ist keineswegs bei jeder nachteiligen baulichen Veränderung der Fall. Die Interessenabwägung kann ergeben, dass der eine oder andere Nachteil hinzunehmen ist mit der Folge, dass die bauliche Veränderung i.S.v. § 20 Abs. 3 WEG unvermeidlich ist und deshalb verlangt werden kann. Bei der Abwägung sind insbesondere die Grundrechte zu berücksichtigen. Der ehedem häufigste Fall, in dem die Grundrechte die Zulassung einer baulichen Veränderung erzwangen, waren die Maßnahmen der Barrierefreiheit; auf diese besteht jetzt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ein Anspruch (→ § 4 Rdn 166). Bei der Aufstellung von Parabolantennen spielen die Grundrechte immer noch eine entscheidende Rolle (→ § 4 Rdn 107). Jedoch sind auch Interessen und Wertungen außerhalb der Grundrechte beachtlich; es kommt auf den Einzelfall an.
Rz. 102
Beispiele:
a) Der Eigentümer eines Teileigentums will zwecks besserer Nutzung die sich nach innen öffnende Eingangstür so umbauen, dass sie nach außen aufschlägt; oder eine Glasfensterfront durch eine Front mit Glastür ersetzen. Der Nutzen für den Teileigentümer ist groß, Nachteile für die übrigen Eigentümer sind nicht ersichtlich. Deshalb sind mit dieser baulichen Veränderung keine das Maß des § 20 Abs. 3 WEG übersteigenden Nachteile verbunden.
b) Ein Eigentümer möchte an Türen und Fenstern seiner Wohnung eine Verschattungsanlage (Jalousien, Lamellen oder eine feste Verschattung) installieren. In der Baugenehmigung war die Verschattungsanlage noch erwähnt, in der zur Teilungserklärung gehörenden Baubeschreibung aber nicht mehr. – Eine Nutzung von südseitig ausgerichteten Räumen oder von Dachgeschosswohnungen erfordert – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung – in vielen Fällen die Nachrüstung mit Verschattungsanlagen (sommerlicher Wärmeschutz); bei einem Neubau sieht § 14 GEG aus guten Gründen vor, "dass der Sonneneintrag durch einen ausreichenden baulichen somme...