1. Der Gestattungsbeschluss
Rz. 82
Wie sich aus § 20 Abs. 3 WEG ergibt, bedürfen bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums durch einzelne Eigentümer stets eines Gestattungsbeschlusses. Das gilt auch dann, wenn die bauliche Veränderung unbedeutend erscheint und niemanden stört ("über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt"); in diesem Fall besteht aber ein Anspruch des bauwilligen Eigentümers auf einen Gestattungsbeschluss. Für Wohnungseigentümer ist es allerdings häufig überraschend und unverständlich, dass sie ihnen unbedeutend erscheinende Maßnahmen im räumlichen Bereich ihres Wohnungseigentums, insbesondere auf Terrassen und Balkone, nicht "einfach so" (ohne Beschluss) durchführen dürfen (zu objektiv unbedeutenden Maßnahmen wie Löcherbohren → § 4 Rdn 54). Die Konsequenzen eines Verstoßes sind indes überschaubar.
Rz. 83
Beispiel:
A verkleidet die aus Gitterstäben bestehende Balkonbrüstung seiner Wohnung mit einem Sichtschutz und bringt eine Markise als Sonnenschutz an. Die Terrasse in seiner Sondernutzungsgartenfläche vergrößert er um zwei Quadratmeter. – Ohne Gestattungsbeschluss sind die Maßnahmen (die bauliche Veränderungen sind bzw. wegen ihrer optischen Wirkung solchen gleichzustellen sind, → § 4 Rdn 107) rechtswidrig. Seit der WEG-Reform 2020 kann aber nur noch die Gemeinschaft, nicht ein einzelner Miteigentümer dagegen vorgehen; somit ist A schon einmal davor sicher, dass einzelne Miteigentümer gegen ihn vorgehen, bevor eine Eigentümerversammlung stattfand. Der Verwalter wird i.d.R. nach seinem Verwaltervertrag nicht befugt, im Übrigen nicht daran interessiert sein, aus eigenem Recht gegen die baulichen Maßnahmen einzuschreiten; dazu verpflichtet ist er nicht (→ § 4 Rdn 118). Oft wird die Maßnahme allseits einfach hingenommen. Mit dem Eintritt der Verjährung des Rückbauanspruchs hat A faktisch nichts mehr zu befürchten. Wenn es Beschwerden geben sollte und der Verwalter das Thema in der Tagesordnung der nächsten Versammlung ankündigt, kann A in diesem Zuge seinerseits die nachträgliche Gestattung (Genehmigung) beantragen.
Rz. 84
Typische Anwendungsfälle für bauliche Veränderungen einzelner Wohnungseigentümer sind (abgesehen von den im vorstehenden Beispiel und im folgenden Muster genannten) die Anbringung von Rollläden oder (Außen-)Jalousien, die Einrichtung einer Abluftanlage (Entlüftung, Dunstabzugshaube usw. mit notwendiger Bohrung durch die Außenwand),die Errichtung eines Carports, die Aufstockung (Dachgeschossausbau mit Dacherhöhung) oder der Anbau einer Dachgaube mit Loggia, die Herstellung eines Außeneingangs (Mauerdurchbruch für gesonderten Zugang), die Errichtung einer Balkonverglasung (Wintergarten).
Rz. 85
Jedenfalls bei größeren Maßnahmen wenden sich die bauwilligen Eigentümer oft hilfesuchend an den Verwalter in der irrigen Annahme, dieser könne die Maßnahme erlauben oder wenigstens mitteilen, unter welchen Voraussetzungen sie durchgeführt werden dürfe. Hier ist Verwaltern zur Zurückhaltung zu raten. Letztlich handelt es sich um Rechtsfragen, und ein Verwalter ist nicht für die Rechtsberatung einzelner Eigentümer zuständig; diese können sich ggf. selbst und auf eigene Kosten anderweitig rechtliche Unterstützung holen. Der Verwalter sollte lediglich darauf hinweisen, dass die Maßnahmen – nicht anders als etwaige von der Gemeinschaft beabsichtigte Baumaßnahmen – einer Beschlussfassung bedürfen und anbieten, das Thema auf die Tagesordnung der nächsten Versammlung nehmen. Dann kann die Gemeinschaft einen entsprechenden Beschluss fassen, denn gem. § 20 Abs. 1 WEG können einem Wohnungseigentümer bauliche Veränderungen durch Beschluss gestattet werden. Auch eine nachträgliche Gestattung (Genehmigung) bereits durchgeführter baulicher Maßnahmen ist möglich, um einen mangels Beschlusses zunächst unrechtmäßigen Zustand zu legalisieren oder um Formfehler eines bestehenden Beschlusses im Wege eines Zweitbeschlusses zu heilen.
Rz. 86
Muster 4.7: Beschlüsse zur Gestattung baulicher Veränderungen
Muster 4.7: Beschlüsse zur Gestattung baulicher Veränderungen
a) Gartenterrasse. Herrn A, Eigentümer der Wohnung Nr. 5, wird die Errichtung einer Terrasse auf seiner Gartenfläche bis zur Größe 3x4m gestattet. Lage, Größe und Material ergeben sich aus der Skizze nebst Beschreibung vom 23.9.2021, die heute vorliegt und als Anlage zum Protokoll genommen wird.
b) Klimagerät. Der Eigentümerin der Apotheke (Einheit Nr. 2 gemäß Aufteilungsplan), Frau A, wird mit Rücksicht auf die in den §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Abs. 2d) der Apothekenbetriebsordnung vorgegebenen Pflichten hinsichtlich der Klimatisierung von Apotheken gestattet, auf eigene Kosten durch eine Fachfirma ein Klimagerät an der Vorder- oder Rückseite ihrer Einheit anzubringen. Bei dem Klimagerät handelt es sich um eine Panasonic Mini ECOiVRF-Außeneinheit mit einem Leistungsbereich bis 12,5 KW und den Maßen 996 x 980 x 370 mm. Der genaue Ort der Anbringung ist der Skizze zu entnehmen, die in der Versammlung am 4.4.2022 präsentiert...