1. Grundsatz der erbschaftsteuerlichen Neutralität
Rz. 11
Erbschaftsteuerlich ist mit dem unmittelbaren Vermögensübergang auch bei einer Mehrheit von Erben der Erbfall abgeschlossen. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO erfolgt zur Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs eine anteilige Zurechnung der Nachlassgegenstände in Höhe der jeweiligen Erbquote an den Miterben.
Rz. 12
Eine nachfolgende (freie) Erbauseinandersetzung durch die Erben ist für die Ermittlung des Anteils des einzelnen Erben am Nachlass, d.h. für seinen Erwerb durch Erbanfall i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, ohne Bedeutung. Die Erbauseinandersetzung ändert mithin nichts an dem steuerbaren Erwerb der einzelnen Miterben im Verhältnis ihrer Erbquote. Es ist demnach für die Besteuerung eines Miterben nicht von Belang, welche Nachlassgegenstände er im Rahmen einer Erbauseinandersetzung erhält bzw. welchen steuerlichen Wert diese Gegenstände haben. Gleiches gilt für die Übernahme von Nachlassverbindlichkeiten durch einen Miterben, auch wenn er hierfür einen Ausgleich durch die Miterben erhält. Ein Miterbe unterliegt mithin mit seinem erbquotalen Erwerb am Gesamtnachlass der Erbschaftsteuer, selbst wenn er aus irgendwelchen Gründen leer ausgehen sollte.
Rz. 13
Eine Zuweisung von Nachlassmasse an einzelne Miterben, die wertmäßig über die Erbquote hinausgeht (disquotalen Erbauseinandersetzung), kann einen schenkungsteuerpflichtigen Erwerb darstellen. Dies kann etwa im Zuwendungsverhältnis zwischen Geschwistern wegen der dann geltenden Freibeträge (siehe § 5 Rdn 1>) zu einer erheblichen Schenkungsteuerbelastung führen. Liegt ein (außer-)gerichtlicher Vergleich vor, spricht dies regelmäßig gegen eine Bereicherungsabsicht und damit gegen eine steuerpflichtige freigiebige Zuwendung (siehe Rdn 102 ff.>).
2. Ausnahmen vom Grundsatz der erbschaftsteuerlichen Neutralität
a) Ausgleichungen (§§ 2050 ff. BGB)
aa) Zivilrecht
Rz. 14
Die Vorschriften der §§ 2050 ff. BGB sehen unter bestimmten Voraussetzungen eine Ausgleichung von lebzeitig vom Erblasser erhaltenen Zuwendungen unter den Miterben vor. Eine Ausgleichspflicht kommt für Abkömmlinge in Betracht, die entweder als gesetzliche Erben zur Erbfolge gelangen (§ 2050 BGB) oder die vom Erblasser auf das eingesetzt sind, was sie als gesetzliche Erben erhalten würden, oder deren Erbteile so bestimmt wurden, dass sie zueinander in demselben Verhältnis stehen wie die gesetzlichen Erbteile (§ 2052 BGB).
Rz. 15
Auszugleichen sind
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erhaltene Ausstattungen i.S.d. § 1624 BGB, soweit nicht der Erblasser bei der Zuwendung ein anderes angeordnet hat (§ 2050 Abs. 1 BGB), |
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Zuschüsse, die zu dem Zwecke gegeben worden sind, als Einkünfte verwendet zu werden, sowie Aufwendungen für die Vorbildung zu einem Beruf (§ 2050 Abs. 2 BGB) ("geborene ausgleichungspflichtige Zuwendungen") und |
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alle anderen Zuwendungen, wenn der Erblasser bei der Zuwendung die Ausgleichung angeordnet hat (§ 2050 Abs. 3 BGB) ("gekorene ausgleichungspflichtige Zuwendungen"). |
Rz. 16
§ 2057a BGB sieht eine Ausgleichspflicht unter Abkömmlingen bei besonderen Leistungen eines Abkömmlings vor. Hat ein Abkömmling durch Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers während längerer Zeit, durch erhebliche Geldleistungen oder in anderer Weise in besonderem Maße dazu beigetragen, das Vermögen des Erblassers zu erhalten oder zu mehren, kann dieser bei der Erbauseinandersetzung eine Ausgleichung von den anderen Abkömmlingen verlangen.
Rz. 17
Die Ausgleichspflicht greift nur unter den (erbenden) Abkömmlingen. Der Erbteil weiterer Erben – insbesondere der Ehegatten – bleibt dabei unberücksichtigt. Die Durchführung der Ausgleichung richtet sich nach § 2055 BGB.
bb) Steuerliche Folgen der Ausgleichungen
Rz. 18
Die Miterbenausgleichung der §§ 2050 ff. BGB ist steuerlich relevant. Die Ausgleichspflichten mindern zwar nicht den Erbteil, jedoch den erbschaftsteuerbaren Wert des Erwerbs des ausgleichspflichtigen Abkömmlings. Anders als bei Teilungsanordnungen (siehe Rdn 21 ff.>) oder Vorausvermächtnissen (siehe Rdn 33 ff.>) liegen keine schuldrechtlichen, auf Auseinandersetzung gerichteten Ansprüche vor, sondern eine vom Vermögensanteil abweichende Berechnung der Teilungsquoten. Erbschaftsteuerrechtlich ist der Nachlass mit seinem steuerlichen Wert den Miterben nach diesen Teilungsanteilen zuzurechnen. Bei der Besteuerung der Miterbenanteile kommt es rein auf die nach zivilrechtlichen Maßgaben errechneten Werte, mithin Verkehrswerte, und nicht etwa auf den steuerlichen Wert der auszugleichenden Zuwendung an.
Rz. 19
Ordnet der Erblasser im Rahmen einer Schenkung eine Anrechnungspflicht des Bedachten auf dessen Erbteil an, verringert sich im Erbfall entsprechend dessen steuerpflichtiger Erwerb von Todes wegen. Die Anrechnung im Rahmen der Besteuerung des Erwerbs unter Lebenden findet nicht als Gegenleistung (etwa als gemischte Schenkung) Berücksichtigung.
Rz. 20
Kommt es zu einer Ausgleichung nach § 2057a...