Rz. 195
Sofern Ehegatten, denen die elterliche Sorge für ihre gemeinsamen Kinder gemeinsam zusteht, voneinander getrennt leben, kann jeder Ehegatte beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt, § 1671 Abs. 1 BGB.
aa) Anspruchsvoraussetzungen
Rz. 196
Neben dem Getrenntleben ist für diesen Anspruch weitere Voraussetzung, dass die Ehegatten das gemeinsame Sorgerecht für die minderjährigen Kinder haben. Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge), § 1626 Abs. 1 BGB. Aus § 1626a BGB, der für den Fall, dass die Eltern nicht miteinander verheiratet sind, Regeln hinsichtlich des Sorgerechts aufstellt, folgt, dass miteinander verheiratete Eltern grundsätzlich das gemeinsame Sorgerecht innehaben.
Rz. 197
Des Weiteren muss entweder der andere Ehegatte dem Übertragungsantrag zustimmen, § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB, oder es muss zu erwarten sein, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Kindeswohl am besten entspricht, § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Rz. 198
Bei der Zustimmung zu der Übertragung des Sorgerechts auf einen Ehegatten handelt es sich um eine Erklärung, die keinen Formvorschriften entsprechen muss. Zu ihrer Wirksamkeit ist lediglich Voraussetzung, dass sie ernsthaft und ohne Zwang dem Gericht gegenüber bekanntgegeben wurde. Sie kann allerdings ebenso formfrei widerrufen werden, und zwar spätestens bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz.
Rz. 199
Eine Übertragung des Sorgerechts auf einen Ehegatten entspricht dann dem Kindeswohl, wenn es zwischen den Ehegatten an elterlicher Kooperationsbereitschaft oder -fähigkeit fehlt. Das wiederum ist zu bejahen, soweit es sowohl an der objektiven Kooperationsfähigkeit als auch an der subjektiven Kooperationswilligkeit fehlt. Die Ehegatten müssen, damit die elterliche Sorge gemeinsam ausgeübt werden kann, in der Lage sein, zu Entscheidungen im Interesse des Kindes zu gelangen und dafür gegebenenfalls ihre eigenen Interessen zurückstellen zu können. Sind die Ehegatten hierzu nicht in der Lage, ist das Kindeswohl gefährdet und eine Übertragung des alleinigen Sorgerechts oder eines Teils davon auf einen Ehegatten zu beantragen bzw. auszusprechen.
Rz. 200
Hinweis
Damit mit der Trennung ein Anspruch auf Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Ehegatten entstehen kann, müssen die Ehegatten die gemeinsame elterliche Sorge für das (minderjährige) Kind innehaben.
Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn es zwischen den Eltern an der elterlichen Kooperationsbereitschaft fehlt.
bb) Verfahren
Rz. 201
Antragsbefugt sind die Eltern als Sorgeberechtigte. Hingegen sind weder das Kind selbst, noch das Jugendamt antragsbefugt. Soweit es sich um einen isolierten Antrag auf Übertragung des Sorgerechts handelt, herrscht kein Anwaltszwang. Denn es handelt sich bei Kindschaftssachen weder um eine Ehe- und Folgesache noch um eine Familienstreitsache, sondern um eine Familiensache der freiwilligen Gerichtsbarkeit, §§ 114 Abs. 1, 111 Nr. 1, 151 Nr. 1 FamFG.
Rz. 202
Sachlich zuständig ist das Familiengericht. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 152 FamFG. Während der Anhängigkeit einer Ehesache ist jenes Gericht ausschließlich zuständig, § 152 Abs. 1 FamFG. Ansonsten ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, § 152 Abs. 2 FamFG. Wenn sich eine Zuständigkeit weder anhand der Anhängigkeit einer Ehesache noch anhand eines gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes ermitteln lässt, ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge bekannt wird, § 152 Abs. 3 FamFG.
Rz. 203
Das Verfahren auf Übertragung des Sorgerechts soll von den Gerichten vorrangig und beschleunigt durchgeführt werden, § 155 Abs. 1 FamFG. Spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens, was der Zeitpunkt der Einreichung des Antrags ist, soll ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden haben, in dem auch das Jugendamt angehört wird, § 155 Abs. 2 FamFG. Wichtig hierbei ist, dass einem Terminsverlegungsantrag nur aus zwingenden Gründen stattgegeben werden darf und dass der Verlegungsgrund glaubhaft zu machen ist, § 155 Abs. 2 S. 3 FamFG. Das Gericht muss auf die Einigung der Ehegatten hinwirken, § 156 FamFG. Gelingt dies nicht, entscheidet es...