Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 72
Gemäß § 36 InsO fallen Gegenstände, die nicht der Pfändung unterliegen, grundsätzlich auch nicht in die Insolvenzmasse. Soweit die danach entsprechend beachtlichen Pfändungsschutzvorschriften der ZPO laufende Arbeits-, Renten- oder Lohnersatzeinkommen des Schuldners betreffen (wie §§ 850 ff. ZPO), spielen diese in der Nachlassinsolvenz keine Rolle, da laufende Arbeits-, Renten- oder sonstige Lohnersatzeinkommen des Erblassers nach dessen Tod nicht mehr denkbar sind und die Arbeitskraft des Erben grundsätzlich seinem Eigenvermögen zuzurechnen ist.
Praktische Bedeutung haben in der Nachlassinsolvenz aber § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO, soweit dort die Unpfändbarkeit von geringfügigen Ansprüchen aus einer Sterbegeldversicherung geregelt ist, § 850b Abs. 2 ZPO sowie § 811 ZPO, soweit dort die Unpfändbarkeit bestimmter zum persönlichen Ge- und Verbrauch bzw. zum Haushalt bestimmter Gegenstände geregelt ist.
Rz. 73
Nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO sind § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b und Nr. 8 lit. b ZPO, welche die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit des Schuldners erforderlichen Sachen bzw. Tiere für unpfändbar erklären, in der Insolvenz von vornherein unanwendbar. Die Vorschrift stellt die Möglichkeit einer Fortführung des betreffenden Betriebes durch den Insolvenzverwalter sicher. Sofern der Verwalter eine durch ihn selbst gemanagte Fortführung nicht für zweckmäßig erachtet, er aber eine Betriebsfortführung durch den Schuldner für sinnvoll hält, kann er die betreffenden Gegenstände nach Maßgabe des § 35 Abs. 2 InsO zugunsten des Schuldners aus der Masse freigeben. Diese Möglichkeit besteht theoretisch auch in der Nachlassinsolvenz, wenn die Erben ein nachlasszugehöriges Unternehmen fortführen wollen. Da die Arbeitskraft des Erben haftungsrechtlich nicht dem Nachlass zurechenbar ist, empfiehlt sich in solchen Fällen, alternativ zu dem Verfahren, das § 35 Abs. 2 InsO i.V.m. § 295a InsO vorsieht, allerdings regelmäßig ein Verkauf der fraglichen Betriebsmittel im Rahmen eines asset deals.
Rz. 74
Gem. § 36 Abs. 3 InsO gehören Sachen, die zum gewöhnlichen Hausrat gehören und im Haushalt des Schuldners gebraucht werden, nicht zur Insolvenzmasse, wenn ohne weiteres ersichtlich ist, dass durch ihre Verwertung nur ein Erlös erzielt werden würde, der zu dem Wert außer allem Verhältnis steht.
Sowohl § 811 Nr. 1–3 ZPO als auch § 36 Abs. 3 InsO stellt auf existenzielle Bedürfnisse des Schuldners ab, so dass sich in der Nachlassinsolvenz die Frage stellt, ob es insoweit auf die Perspektive des Erblassers oder jene der Erben ankommt. Richtigerweise ist nach dem Erbfall allein die Perspektive des Erben maßgeblich. Gemäß §§ 36 InsO, 811 ZPO ist massefreies Vermögen daher in all jenen Fällen praktisch kaum denkbar, in denen der Erbe einen eigenen Hausstand hat. Die Insolvenzmasse erstreckt sich in solchen Fällen typischerweise auch auf jene Gegenstände, die lebzeitig nach § 811 ZPO Nr. 1–3 ZPO unpfändbar waren. Denkbar ist massefreies Vermögen in der Nachlassinsolvenz – vorbehaltlich einer Freigabe durch den Insolvenzverwalter – nur dann, wenn ausnahmsweise (auch) aus der Sicht des Erben ein existenzielles Bedürfnis für die (weitere) Nutzung des betreffenden Gegenstandes besteht.
Rz. 75
Der Pflichtteilsanspruch entsteht zwar mit dem Erbfall, seine zwangsweise Verwertbarkeit ist jedoch aufschiebend bedingt (§ 158 Abs. 1 BGB). Diese Wirkung tritt erst mit der vertraglichen Anerkennung des Anspruchs oder mit Rechtshängigkeit ein. Die beschränkte Pfändbarkeit des Pflichtteilsanspruchs nach § 852 Abs. 1 ZPO soll vermeiden, dass der Anspruch gegen den Willen des Berechtigten geltend gemacht wird; die Entscheidung über die Geltendmachung gegenüber dem Erben soll mit Rücksicht auf die familiäre Verbundenheit von Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem allein diesem überlassen bleiben.
Daher können Insolvenzverwalter in der Regelinsolvenz des Schuldners Pflichtteilsansprüche, die diesem während des Verfahrens zufallen, nicht zur Masse geltend machen. Gleiches gilt für Pflichtteilsansprüche, die zwar bereits vor Verfahrenseröffnung dem Grunde nach angefallen, jedoch vom Berechtigten bislang noch nicht geltend gemacht wurden.
Rz. 76
Diese Grundsätze gelten nach Sinn und Zweck der betreffenden Pfändungsschutznorm allerdings nicht im Nachlassinsolvenzverfahren über das Vermögen des Berechtigten. Denn richtigerweise erlischt der Pfändungsschutz nach § 852 ZPO mit dem Tod des Berechtigten. Nach dem Tod gibt es schon begrifflich keine schützenswerten persönlichen Beziehungen mehr zwischen diesem und den erbenden Familienangehörigen. Auch ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten ist nicht mehr vorstellbar, da Tote de facto keinen Willen mehr bilden können. Dann aber besteht objektiv kein Grund mehr, den Gläubigern den Zugriff auf die betreffenden Ansprüche zu verweigern. Hierbei ist zu beachten, dass Pfändungsschutzvorschriften regelmäßig einen erheblichen Eingriff in die von Art. 14 GG geschützten Forderungsrechte der Gläubiger darstellen ...