Julia Roglmeier, Dr. Christopher Riedel
Rz. 126
Zu Lebzeiten steht es dem Erblasser frei, sein Testament insgesamt oder teilweise zu widerrufen, § 2253 BGB. Der Widerruf kann nach folgenden Möglichkeiten erklärt werden:
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durch Widerrufstestament per ausdrücklicher Erklärung, § 2254 BGB; |
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durch eine neue Verfügung von Todes wegen, die der vorangegangenen ganz oder teilweise widerspricht, § 2258 BGB; |
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durch Vernichtung der Testamentsurkunde, § 2255 BGB; |
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durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung, § 2256 BGB. |
Rz. 127
Auch der Widerruf selbst kann widerrufen werden, § 2257 BGB. In diesem Fall tritt das ursprünglich widerrufene Testament wieder in Kraft und gilt als nie widerrufen.
Wichtig
Um Abgrenzungsschwierigkeiten zu umgehen, sollte bei der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen stets klar und eindeutig geregelt werden, welche vorangegangenen Testamente in welchem Umfang widerrufen werden. Geregelt werden sollte in der Regel auch, dass § 2257 BGB ausgeschlossen ist.
Rz. 128
Neben den Anfechtungstatbeständen des allgemeinen Teils (§§ 119, 123 BGB) kennt das Erbrecht besondere Anfechtungsgründe, die in den §§ 2078, 2079 BGB normiert sind. Soll ein gemeinschaftliches Testament oder ein Erbvertrag angefochten werden, sind zudem die §§ 2281 ff. BGB anwendbar.
Rz. 129
Kann auch nach einer wohlwollenden Auslegung der Erblasserwille nicht ermittelt werden, kommt eine Anfechtung in Betracht. § 2078 BGB regelt dabei die Anfechtung wegen Irrtums oder Drohung. Inhaltlich gelten hier zunächst die gleichen Grundsätze wie bei den Anfechtungstatbeständen des allgemeinen Teils. Eine erbrechtliche Besonderheit liegt darin, dass auch ein Motivirrtum des Erblassers beachtlich ist, sofern jedenfalls zwischen Irrtum und Verfügung Kausalität besteht. Bei der Prüfung des Vorliegens von Anfechtungsgründen kommt es stets auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung, also auf die Vorstellungen und Erwartungen des Erblassers zu diesem Zeitpunkt an.
Rz. 130
§ 2079 BGB berechtigt zur Anfechtung, wenn ein Pflichtteilsberechtigter bei Errichtung der letztwilligen Verfügung übergangen wurde, weil der Erblasser von seiner Existenz nichts wusste oder er die Qualität der Pflichtteilsberechtigung erst nach Testamentserrichtung erlangt hat (z.B. durch Geburt oder Eheschließung). In § 2079 BGB wird ein Spezialfall des Motivirrtums geregelt. Geschützt werden soll die Rechtsposition (gesetzliches Erbrecht) des Pflichtteilsberechtigten.
Rz. 131
Der Pflichtteilsberechtigte muss übergangen worden sein. Das ist nicht der Fall, wenn
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der Pflichtteilsberechtigte bewusst außen vorgelassen wurde; |
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der Pflichtteilsberechtigte ausdrücklich enterbt wurde; |
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wenn der Erblasser bei Testamentserrichtung eine spätere Eheschließung bedacht hatte; |
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wenn die Auslegung nach § 2069 BGB eine Ersatzberufung des Pflichtteilsberechtigten ergibt. |
Rz. 132
Anfechtungsberechtigt ist, für wen die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar von Vorteil ist, § 2080 Abs. 1 BGB. Nach der allgemeinen Regelung muss die Anfechtung demjenigen gegenüber erklärt werden, dem bei Fortgeltung der anzufechtenden Verfügung ein rechtlicher Vorteil zustünde, § 143 Abs. 4 BGB. Wird die Erbeinsetzung selbst angefochten, gilt allerdings § 2081 BGB: in diesem Fall ist die Anfechtungserklärung gegenüber dem Nachlassgericht abzugeben.
Rz. 133
Die Anfechtung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen, § 2082 Abs. 1 BGB. Maßgeblich für den Zeitanlauf ist der Zeitpunkt der Kenntniserlangung vom Anfechtungsgrund. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit dem Erbfall 30 Jahre verstrichen sind (Höchstfrist).
Die Rechtsfolgen der Anfechtung liegen in einer ex-tunc-Beseitigung der angefochtenen Verfügung.