aa) Typischer Sachverhalt
Rz. 50
Ausgangspunkt ist der Sachverhalt (siehe Rdn 36) mit der Abänderung, dass der Verteidiger im Rahmen der erstinstanzlichen Hauptverhandlung als Pflichtverteidiger durch das Gericht bestellt wurde.
bb) Rechtliche Grundlagen
Rz. 51
Grundsätzlich erhält der Pflichtverteidiger erst für Tätigkeiten nach der gerichtlichen Bestellung eine Vergütung aus der Staatskasse. Das Amt der Pflichtverteidigung ist nach dem BVerfG ein Sonderopfer des Strafverteidigers im öffentlichen Interesse. Daher entspricht die Vergütung nicht den vollen Gebühren eines Wahlverteidigers, sie wird vielmehr reduziert und ist nicht verzinslich. Wird der Rechtsanwalt im ersten Rechtszug bestellt, erhält er die Vergütung auch für seine Tätigkeit als Verteidiger vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen Klage, § 48 Abs. 6 RVG. Insofern normiert das Gesetz also eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Pflichtverteidiger Vergütung erst für Tätigkeiten nach gerichtlicher Bestellung erhält.
Rz. 52
Gemäß § 55 Abs. 1 RVG erfolgt die Festsetzung der Vergütung und Auslagen durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges. Dies gilt auch dann, wenn der Pflichtverteidiger vom Berufungs- oder Revisionsgericht bestellt worden ist. Gemäß § 46 Abs. 2 RVG ist für die Feststellung, dass bestimmte Auslagen (z.B. Reisekosten zu einem auswärtigen Haftbesuch) erforderlich und damit erstattungsfähig sind, das jeweils mit der Sache befasste Gericht zuständig. Diese Feststellung ist dann für das Festsetzungsverfahren bindend.
Rz. 53
Auch die Vergütung des Pflichtverteidigers bestimmt sich nach dem RVG-VV. Es gilt daher grundsätzlich das bereits Gesagte (siehe Rdn 36 ff.). Allerdings ist bei gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwälten die 2. Spalte des Vergütungsverzeichnisses anzuwenden. Dort finden sich im Gegensatz zur Wahlverteidigung keine Gebührenrahmen, sondern Festbeträge. Der Festbetrag entspricht 80 % der Mittelgebühr eines Wahlverteidigers.
Rz. 54
Vorliegend kann Rechtsanwalt R also die gleichen Gebühren geltend machen wie im Fall der Wahlverteidigung, allerdings in anderer Höhe. Außerdem besteht die Besonderheit, dass er als Pflichtverteidiger eine zusätzliche Gebühr aus Nr. 4111 RVG-VV erhält, weil die Hauptverhandlung länger als acht Stunden dauerte.
cc) Muster: Antrag auf Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung und Auslagen
Rz. 55
Muster 41.10: Antrag auf Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung und Auslagen
Muster 41.10: Antrag auf Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung und Auslagen
An das Amtsgericht _____
Az. _____
In der Strafsache gegen _____ wegen _____
wurde ich mit Beschluss des Gerichts vom _____ als Pflichtverteidiger bestellt. Nach Abschluss des Verfahrens stelle ich den Antrag, die nachstehenden Gebühren und Auslagen festzusetzen:
1) |
Grundgebühr |
(Nr. 4101 RVG-VV): |
216,00 EUR |
2) |
Terminsgebühr mündliche Haftprüfung |
(Nr. 4103 RVG-VV): |
183,00 EUR |
3) |
Verfahrensgebühr Vorverfahren |
(Nr. 4105 RVG-VV): |
177,00 EUR |
4) |
Verfahrensgebühr 1. Rechtszug |
(Nr. 4107 RVG-VV): |
177,00 EUR |
5) |
Terminsgebühr 1. Rechtszug |
(Nr. 4109 RVG-VV): |
295,00 EUR |
6) |
Zusätzliche Gebühr > 8 Stunden |
(Nr. 4111 RVG-VV): |
242,00 EUR |
7) |
Verfahrensgebühr Berufung |
(Nr. 4124 RVG-VV): |
282,00 EUR |
8) |
Zusatzgebühr Berufungsrücknahme |
(Nr. 4141 RVG-VV): |
282,00 EUR |
_____
Aus der Staatskasse habe ich keine Vorschüsse gem. § 47 RVG erhalten. Vom Mandanten habe ich Vorschüsse und Zahlungen in Höhe von 1.000 EUR brutto erhalten. Diese sind jedoch nicht anzurechnen. Ich versichere, keine weiteren Vorschüsse und Zahlungen erhalten zu haben.
Spätere Zahlungen, die gem. § 58 Abs. 3 RVG zurückzuzahlen sind, werde ich der Staatskasse anzeigen. Ich bitte darum, den vorstehenden Antrag zu bescheiden und die Auszahlung des festgesetzten Betrages anzuordnen.
(Rechtsanwalt)
dd) Anmerkungen zum Muster
Rz. 56
▪ |
Zu Position 8) Zusatzgebühr Berufungsrücknahme: Aufgrund des Verweises in Nr. 4141 RVG-VV ist die Gebühr nicht aus Nr. 4125 RVG-VV, sondern aus Nr. 4124 RVG-VV zu nehmen! |
▪ |
Zur Anrechnung: Der Vergütungsvorschuss in Höhe von 1.000 EUR führt im vorliegenden Fall nicht zu einer Anrechnung und einem Abzug der zur Festsetzung beantragten Pflichtverteidigervergütung, da gem. § 58 Abs. 3 S. 3 RVG die Anrechnung unterbleibt, soweit der Rechtsanwalt durch diese insgesamt weniger als den doppelten Betrag der ihm zustehenden Vergütung erhalten würde. |