Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 205
Nach § 4 Abs. 1 WO können Einsprüche gegen die Richtigkeit der Wählerliste nur vor Ablauf von zwei Wochen nach Erlass des Wahlausschreibens beim Wahlvorstand schriftlich eingelegt werden. Der letzte Tag der Frist – grds. wie bei der Frist zur Einreichung von Vorschlagslisten nach § 188 BGB "Ablauf des Tages", also 24.00 Uhr, soweit nicht nach § 41 Abs. 2 WO eine andere Uhrzeit festgesetzt ist – ist im Wahlausschreiben ebenso anzugeben wie der Ort, an dem der Einspruch abgegeben werden soll (die Berechnung erfolgt wie bei der Einreichungsfrist von Vorschlagslisten; allerdings ist eine unverzügliche Prüfung noch am selben Tag nicht erforderlich). Der Einspruch ist schriftlich einzureichen, Textform, damit auch E-Mail und Telefax, dürfte aber genügen, wenn der Aussteller eindeutig identifizierbar ist (im Ergebnis ebenso Fitting, § 4 WO Rn 7; DKW/Homburg, § 4 WO Rn 8; a.A. Richardi/Forst, § 4 WO Rn 3, GK/Jacobs, § 4 WO Rn 7: § 126 BGB ist anzuwenden). Eine besondere Begründung ist nicht vorgeschrieben, allerdings muss der Wahlvorstand wissen, worüber er befinden soll.
Rz. 206
Der Wahlvorstand muss über den Einspruch unverzüglich – durch Beschluss – entscheiden. Der Einspruchsführer hat Anspruch darauf, die Entscheidung ebenfalls unverzüglich mitgeteilt zu bekommen (§ 4 Abs. 2 S. 5 WO). Für die Mitteilung der Entscheidung des Wahlvorstands – es handelt sich ja nicht um eine Willenserklärung – wird Textform genügen (BAG v. 20.10.2021 – 7 ABR 36/20, juris unter Auseinandersetzung mit § 126b BGB für die Beanstandung von Vorschlagslisten durch den Wahlvorstand nach § 7 Abs. 2 S. 2 WO, für die das Gesetz ebenfalls "schriftlich" vorsieht). Zwar ist es nicht ausdrücklich vorgeschrieben, der Wahlvorstand muss aber wenigstens in Grundzügen zu erkennen geben, aus welchen Gründen dem Einspruch nicht gefolgt wird. Es ist umstritten, ob auch der Arbeitgeber und eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einspruchsbefugt sind (dagegen Fitting, § 4 WO Rn 3; Richardi/Thüsing, § 4 WO Rn 5; dafür GK/Jacobs, § 4 WO Rn 3; bei Gewerkschaften dafür, beim Arbeitgeber dagegen DKW/Homburg, § 4 WO Rn 16). Die in § 19 Abs. 3 BetrVG vorgesehene Beschränkung des Anfechtungsrechts bei fehlendem Einspruch gilt nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht für Gewerkschaften; für den Arbeitgeber gilt eine eigene Beschränkung für den Fall, dass die Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht.
Rz. 207
Hinweis
Der Einspruch kann nicht nur bei persönlicher Betroffenheit, etwa Fehlen eines Arbeitnehmers auf der Wählerliste, der sich für wahlberechtigt hält, oder Antrag auf Streichung, eingelegt werden. Jeder Arbeitnehmer des Betriebes – Wahlberechtigung spielt keine Rolle – ist zur Einlegung des Einspruches berechtigt. Die Einlegung des Einspruches ist seit der Einfügung des Abs. 3 des § 19 BetrVG nunmehr Voraussetzung dafür, dass der Arbeitnehmer später die Wahl mit der entsprechenden Begründung anfechten kann (zum alten Recht anders BAG v. 2.8.2017 – 7 ABR 42/15, juris). Es genügt allerdings, dass überhaupt jemand mit entsprechender Begründung Einspruch eingelegt hat, die Anfechtung ist – bei Ablehnung des Einspruchs – dann auch durch jeden anderen wahlberechtigten Arbeitnehmer möglich.
Rz. 208
Der Wahlvorstand ist verpflichtet, die Wählerliste bis zum Wahltag ständig zu pflegen und bei Eintritt und Austritt von Arbeitnehmern, Verlust oder Erwerb von Wahlberechtigung – nach entsprechender Beschlussfassung – zu korrigieren. Aus diesem Grund ist ein verspäteter Einspruch als Anregung einer Berichtigung anzusehen. Aber: Der Wahlvorstand ist nicht befugt, ohne neue Tatsachen seine ursprüngliche Bewertung, welche Arbeitnehmer wahlberechtigt sind oder nicht, nach Erlass des Wahlausschreibens und nach Beschluss der Wählerliste wieder zu ändern – es sei denn, er ist durch einen rechtzeitigen Einspruch zu einer Überprüfung seiner ursprünglichen Bewertung berechtigt (§ 4 Abs. 3 WO). Ändert er seine Bewertung ohne Einspruch und ohne Änderung des Sachverhaltes (wie Einstellung neuer Arbeitnehmer), dann ist eine Anfechtung allein deswegen begründet, selbst wenn die nunmehrige Einschätzung des Wahlvorstands zutrifft. Erkennt der Wahlvorstand nachträglich solche Bewertungsfehler, muss er ggf. die Wahl abbrechen und neu einleiten (BAG v. 22.1.1993, NZA 1993, 949, juris). Änderungen und Ergänzungen sind nach neuem Recht bis zur Stimmabgabe zulässig. Die Änderungen sind durch den Wahlvorstand selbst – nach entsprechendem Beschluss – vorzunehmen in dem Sinn, dass er die Wählerliste im Original ändert. Er darf auch Ergänzungen nicht Wahlhelfern (hier: den jeweiligen Filialleitern) überlassen (so im Fall des LAG Nürnberg v. 20.9.2011 – 6 TaBV 9/11, juris). Natürlich muss er jede Änderung unverzüglich – ggf. durch Wahlhelfer – in den ausgelegten Abdrucken der Wählerliste nachvollziehen.