Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 1542
Gem. § 77 Abs. 6 BetrVG gelten nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung deren Regelungen in Angelegenheiten weiter, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Betriebspartner keine abweichende Absprache getroffen haben oder nachträglich treffen. Die Einigungsstelle kann die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nur bei Angelegenheiten ersetzen, die der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegen. Wirkt die Betriebsvereinbarung in diesen Fällen nach, so wirkt sie zwar weiter auf die Arbeitsverhältnisse ein, aber nicht mit zwingender Wirkung. Allerdings darf der Arbeitgeber Änderungen, etwa durch Ausübung seines Weisungsrechts, trotzdem nicht durchführen, wenn der bestehende Zustand – etwa bei der Lage der Arbeitszeit – aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen aufrechterhalten bleiben muss, weil die Änderung des bestehenden Zustandes der Zustimmung des Betriebsrats bedarf.
Rz. 1543
Keine Nachwirkung entfalten hingegen freiwillige Betriebsvereinbarungen. Die Betriebspartner können allerdings eine solche Nachwirkung durch Vereinbarung herbeiführen. Eine solche vereinbarte Nachwirkung in freiwilligen Betriebsvereinbarungen führt jedoch nicht dazu, dass bei Weigerung eines Partners die Betriebsvereinbarung bis zum Untergang des Betriebes weitergelten müsste. In diesen Fällen ist von den Betriebspartnern im Zweifel eine Konfliktlösungsmöglichkeit gewollt, die derjenigen der erzwingbaren Mitbestimmung entspricht. Scheitern die Bemühungen um eine einvernehmliche Neuregelung, kann danach von jedem Betriebspartner die Einigungsstelle angerufen werden, die verbindlich – auch über den Wegfall der Regelungen – entscheidet (BAG v. 28.4.1998 –1 ABR 43/97, juris).
Rz. 1544
Problematisch ist die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung mit teils erzwingbaren und teils freiwilligen Regelungen. Hier erstreckt sich die Nachwirkung nur auf die Teile, die erzwingbare Regelungen enthalten, sofern dies praktikabel ist (vgl. dazu Fitting, § 77 BetrVG Rn 189 ff.). Hängt bei teilmitbestimmungspflichtigen Betriebsvereinbarungen der mitbestimmungspflichtige Teil – z.B. Verteilungsgrundsätze – vom Vorhandensein des mitbestimmungsfreien Teils – z.B. Vorhandensein eines Zulagenvolumens – ab, entfällt bei vollständiger Abschaffung des mitbestimmungsfreien Teils die Nachwirkung insgesamt (etwa weil es nichts mehr zu verteilen gibt). Dies gilt auch für die Kündigung von nach einem Betriebsübergang ins Arbeitsverhältnis transformierte Betriebsvereinbarungen, deren Bestandskraft nicht weiter gilt, als wenn die Betriebsvereinbarung noch gelten würde. Könnte diese mit der Folge des Wegfalls der Leistungen gekündigt werden, gilt dies auch für nach § 163a Abs. 1 S. 2 BGB transformierte Regelungen (vgl. etwa BAG v. 19.11.2019 – 1 AZR 386/18, juris).