Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 12
Nach § 1 BetrVG findet die Betriebsratswahl in "Betrieben" statt. Nach der althergebrachten Definition ist ein Betrieb "eine organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mithilfe technischer und immaterieller Mittel arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt" (st. Rspr., vgl. zuletzt etwa BAG v. 17.5.1017 – 7 ABR 21/15, juris; BAG v. 13.2.2013 – 7 ABR 36/11, juris). Eine gesetzliche Definition findet sich nicht. Streitig ist, ob private Haushalte als Betriebe gelten können, weil ihre Tätigkeit ausschließlich dem Eigenbedarf dient (GK/Franzen, § 1 Rn 28; BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 660/19, juris für die Geltung verlängerter Kündigungsfristen; LAG Düsseldorf v. 10.5.2016 – 14 Sa 82/16, juris, für die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes). Das BetrVG gilt nur für Betriebe der Privatwirtschaft, nicht für den Bereich des öffentlichen Dienstes und die alliierten Streitkräfte (weitere Einzelheiten vgl. Fitting, § 1 Rn 37 ff.), und aufgrund des Territorialprinzips nur für im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelegene betriebliche Einheiten (Fitting, § 1 Rn 12 ff.).
Rz. 13
Wegen des unterschiedlichen Gesetzeszweckes besteht heute Einigkeit, dass der Begriff des "Betriebes" (auch des "Betriebsteils") im BetrVG sich von demjenigen des KSchG (Betriebsgröße § 23 KSchG, soziale Auswahl im Betrieb § 1 Abs. 3 KSchG, vgl. etwa BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 483/11, juris; dort ist etwa keinesfalls das Abstellen auf Betriebsteile nach § 4 BetrVG möglich, BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, juris), wohl auch von demjenigen in Tarifverträgen (BAG v. 24.2.2010 – 10 AZR 759/08, juris; anders jetzt § 4a TVG: für den nach dem TarifeinheitsG maßgeblichen Betriebsbegriff gilt der betriebsverfassungsrechtliche Begriff), erst recht von demjenigen in § 613a Abs. 1 BGB (Übergang eines "Betriebes" oder "Betriebsteils" auf einen anderen Inhaber, vgl. etwa BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 538/10, juris; BAG v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, juris) unterscheidet.
Rz. 14
Nochmals anders zu sehen ist der unionsrechtliche Betriebsbegriff im Recht der Massenentlassung, der autonom, einheitlich und losgelöst von den nationalen Begrifflichkeiten und Rechtsvorschriften festgestellt werden muss. Der vom EuGH sehr weit verstandene Begriff des "Betriebs" i.S.d. EGRL 59/98 (Massenentlassungsrichtlinie) bezeichnet die Einheit, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgaben angehören. Es muss sich um eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität handeln, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt. Nicht erforderlich ist, dass die Einheit rechtliche, wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie aufweist. Der Betrieb i.S.d. EGRL 59/98 muss auch keine Leitung haben, die selbstständig Massenentlassungen vornehmen kann. Vielmehr reicht es aus, wenn eine Leitung besteht, die die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeit und die Kontrolle des Gesamtbetriebs der Einrichtungen der Einheit sowie die Lösung technischer Probleme im Sinne einer Aufgabenkoordinierung sicherstellt (BAG v. 14.5.2020 – 6 AZR 235/19, juris). Das Arbeitsverhältnis wird im Wesentlichen durch die Verbindung zwischen dem Arbeitnehmer und demjenigen Unternehmensteil gekennzeichnet, dem er zur Erfüllung seiner Aufgabe angehört. Es ist eine Leitung ausreichend, die einen reibungslosen Betriebsablauf vor Ort gewährleisten kann. Deren Entscheidungsbefugnisse müssen sich nicht auf mitbestimmungsrechtliche Angelegenheiten erstrecken, so dass der Begriff der "Leitungsmacht" deutlich offener und weiter ist als nach dem betriebsverfassungsrechtlichen Verständnis. Eine bestimmte räumliche Entfernung ist – anders als bei § 4 BetrVG – nicht erforderlich (BAG v. 13.2.2020 – 6 AZR 146/19, juris).
Rz. 15
Rz. 16
Entscheidend ist für den Betrieb i.S.d. BetrVG die einheitliche Organisation, das Bestehen eines einheitlichen Leitungsapparates insb. für personelle und soziale – nicht unbedingt wirtschaftliche – Angelegenheiten. Die arbeitstechnische Zwecksetzung spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Ein Betrieb liegt vor, wenn die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird (BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 254/06, juris; BAG v. 7.5.2008 – 7 ABR 15/07, juris; BAG v. 17.5.2017 – 7 ABR 21/15, juris). Die einheitliche Leitungsmacht allein genügt nicht...