Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 332
Vieles spricht dafür, hier zu differenzieren. Hat der Wahlvorstand das Wahlausschreiben noch nicht erlassen, kann ihm im Wege einstweiliger Verfügung aufgegeben werden, dieses mit einem bestimmten Inhalt zu erlassen – etwa wenn der Wahlvorstand von einer zu großen Zahl von zu wählenden Betriebsratsmitgliedern oder zu Unrecht von einem Gemeinschaftsbetrieb ausgehen will. Zeitlich wird dies allerdings problematisch, wenn die arbeitsgerichtliche Entscheidung nicht bis zum Erlass des Wahlausschreibens endgültig ist (regelmäßig durch Beschluss des LAG, weil gegen einstweilige Verfügungen kein Rechtsmittel zum BAG eröffnet ist).
Rz. 333
Bei Fehlern, die sich erst aus dem Wahlausschreiben selbst ergeben, kann eine Korrektur des erlassenen Wahlausschreibens wegen der darin enthaltenen gesetzlichen Fristen und zwingenden Angaben nur dann erfolgen, wenn es auf diese Fristen für die Wirksamkeit der Wahl nicht ankommen kann (z.B. bei Änderung des Ortes der Stimmenauszählung). I.Ü. müsste dem Wahlvorstand aufgegeben werden, das Wahlausschreiben mit einem bestimmten Inhalt neu zu erlassen, was zur Verschiebung des Wahlzeitpunkts führen würde. Dies wird allerdings dann in Kauf zu nehmen sein, wenn dies nicht zu einer betriebsratslosen Zeit führen würde, etwa deswegen, weil die Wahl außerhalb des regelmäßigen Wahlzeitraums stattfindet und der bisherige Betriebsrat ohnehin die Geschäfte weiterführt.
Rz. 334
Entgegen der Auffassung des BAG erscheint es als geboten, eine Abwägung zwischen den drohenden Rechtsnachteilen – Länge der betriebsratslosen Zeit – und der Schwere des Fehlers sowie der Frage, wie sicher oder wahrscheinlich sich dieser Fehler auf das Wahlergebnis auswirkt, auch dann vorzunehmen, wenn durch den Abbruch für einen kurzen Zeitraum eine betriebsratslose Zeit drohen kann. Ansonsten könnte ein Wahlvorstand, der etwa durch unzutreffende Aushänge und Mitteilungen Bewerber behindert oder offenbar unzutreffend Vorschlagslisten zurückweist, Fakten schaffen, die über das gesamte Anfechtungsverfahren hin überdauern (überzeugend LAG Hamburg v. 19.4.2010 – 7 TaBVGa 2/10, juris, für den Fall, dass der Wahlvorstand nicht nur objektiv den Rahmen pflichtgemäßen Ermessens verlassen, sondern auch subjektiv vorwerfbar gehandelt, sich mit der Sach- und Rechtslage gar nicht auseinandergesetzt, diese grob verkannt oder die Vorschriften bewusst missachtet hat).
Rz. 335
Möglich erscheint es zudem, dem Wahlvorstand im Wege einstweiliger Verfügung aufzugeben, Vorschlagslisten zur Wahl zuzulassen oder nicht zuzulassen, zumindest dann, wenn das ArbG die vom Wahlvorstand vertretene Handhabung für grob fehlerhaft hält (LAG Sachsen v. 22.4.2010 – 2 TaBVGa 2/10, juris; LAG Hamm v. 15.2.2016 – 13 Ta 70/16, juris; LAG Schleswig-Holstein v. 9.1.2017 – 3 TaBVGa 3/16, juris: a.A. wohl LAG Hamm v. 19.3.2012 – 10 TaBVGa 5/12, juris, das auch diese Korrektur auf Nichtigkeit beschränken will; letztlich kam es darauf in der Entscheidung aber nicht an, weil das LAG die Handhabung als umstritten und nicht offensichtlich fehlerhaft angesehen hat). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Wahltermin hierdurch nicht gefährdet ist. Die letztlich verbindliche Prüfung der Berechtigung der Zulassung oder Nichtzulassung kann dann im Anfechtungsverfahren erfolgen. Erlaubt man dies nicht, wird ein Verstoß über Monate oder gar Jahre bis zum Abschluss des Anfechtungsverfahrens perpetuiert. In solchen Fällen dürfte es auch hinzunehmen sein, wenn der Wahltermin um einige Tage oder Wochen hinausgeschoben werden muss und eine kurzzeitige betriebsratslose Zeit entsteht (sehr str.).