Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 1252
Der Unternehmer hat den Wirtschaftsausschuss über alle wesentlichen wirtschaftlichen Angelegenheiten, die die Interessen der Arbeitnehmer berühren können, unaufgefordert rechtzeitig und umfassend unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten, soweit dadurch nicht die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens gefährdet werden, sowie die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Personalplanung darzustellen (§ 106 Abs. 2 BetrVG) und den Jahresabschluss "unter Beteiligung des Betriebsrats" zu erläutern (§ 108 Abs. 5 BetrVG). Mit Entscheidung aus dem Jahr 2019 hat das BAG klargestellt, dass die wirtschaftliche Lage der Konzernmutter kein Gegenstand der Unterrichtung für den Wirtschaftsausschuss eines konzernangehörigen Unternehmens ist (BAG v. 17.12.2019, NZA 2020, 531).
Rz. 1253
Was im Einzelnen zu den wesentlichen wirtschaftlichen Angelegenheiten gehört, ist in § 106 Abs. 3 BetrVG beispielhaft (nicht abschließend) aufgeführt:
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Nr. 1 die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens; |
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Nr. 2 die Produktions- und Absatzlage; |
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Nr. 3 das Produktions- und Investitionsprogramm; |
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Nr. 4 Rationalisierungsvorhaben; |
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Nr. 5 Fabrikations- und Arbeitsmethoden, insb. die Einführung neuer Arbeitsmethoden; |
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Nr. 5a Fragen des betrieblichen Umweltschutzes; |
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Nr. 6 die Einschränkung oder Stilllegung von Betrieben oder von Betriebsteilen; |
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Nr. 7 die Verlegung von Betrieben oder Betriebsteilen; |
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Nr. 4 der Zusammenschluss oder die Spaltung von Unternehmen oder Betrieben; |
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Nr. 9 die Änderung der Betriebsorganisation oder des Betriebszwecks; |
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Nr. 9a die Übernahme des Unternehmens, wenn hiermit der Erwerb der Kontrolle verbunden ist, [und zwar unter Angabe des potenziellen Erwerbers und dessen Absichten im Hinblick auf die künftige Geschäftstätigkeit des Unternehmens sowie die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Arbeitnehmer, auch wenn im Vorfeld ein Bieterverfahren durchgeführt wird;] |
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Nr. 10 sonstige Vorgänge und Vorhaben, welche die Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens wesentlich berühren können. |
Rz. 1254
Zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten, in denen der Wirtschaftsausschuss nach § 106 BetrVG ein Unterrichtungs- und Beratungsrecht hat, gehört auch die Stilllegung von Betrieben, in denen kein Betriebsrat gebildet ist (BAG v. 9.5.1995 – 1 ABR 61/94, NZA 1996, 55 = DB 1995, 1033 = BB 1995, 1963). Die in § 106 Abs. 3 Nr. 5, 6 bis 9 BetrVG bezeichneten wirtschaftlichen Angelegenheiten stellen i.d.R. jeweils zugleich auch eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 S. 3 BetrVG dar. Soweit sich diese Tatbestände überschneiden, ist sowohl eine Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses nach § 106 BetrVG als auch eine Unterrichtung des Betriebsrats nach § 111 BetrVG erforderlich. Ist ein Wirtschaftsausschuss mangels Unternehmensgröße nicht gebildet, so stehen die Unterrichtungsansprüche nicht automatisch dem Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat zu. Allerdings besteht insoweit eine Unterrichtungspflicht ggü. dem Betriebsrat nach § 80 Abs. 2 BetrVG, soweit dies zur Durchführung konkreter Aufgaben des Betriebsrates erforderlich ist (BAG v. 5.2.1991 – 1 ABR 24/90, NZA 1991, 645 = DB 1991, 1382 = BB 1991, 1635; BAG v. 20.9.1990, EzA § 80 BetrVG 1972 Nr. 39).
Rz. 1255
Damit der Wirtschaftsausschuss seine Aufgaben erfüllen kann, hat der Unternehmer den Wirtschaftsausschuss so rechtzeitig und so umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens zu unterrichten, dass der Wirtschaftsausschuss sich aufgrund dieser Mitteilungen ein genaues, zutreffendes und vollständiges Bild über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens machen kann; zur Sitzungsvorbereitung kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, umfangreiche Unterlagen schon vor der Sitzung zur Verfügung zu stellen; Kopien hiervon dürfen jedoch nicht angefertigt werden (BAG v. 20.11.1984, NZA 1985, 432 = DB 1985, 924 = BB 1985, 927). Die dem Wirtschaftsausschuss übermittelten Informationen müssen dabei stets verständlich und glaubwürdig bleiben (BAG v. 17.3.1987, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 29). Die Unterrichtungspflicht ist auf solche Informationen beschränkt, die nicht die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens gefährden (ArbRAktuell 2011, 341).
Rz. 1256
Die Unterrichtungspflicht erstreckt sich nicht allein auf die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens, sondern verlangt weiter gehend die Darlegung der Auswirkungen auf die Personalplanung, z.B. Notwendigkeit eines Personalabbaus (BAG v. 6.11.1990 – 1 ABR 60/89, NZA 1991, 358 = DB 1991, 654 = BB 1991, 689). Dazu gehören in Bezug auf die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens insb. Verluste, Gewinne, Risikolage, Preisgestaltung und deren Kalkulationsgrundlagen, Außenstände, steuerliche Belastung, soziale Aufwendungen, konjunkturelle Entwicklung, Konkurrenzsituation, wirtschaftliche Entwicklung der Branche, Situation der Exportmärkte und Wechselkurse, Auftragsbestand und Liquidität (OLG Karlsruhe v. 7.6.1985 – 1 Ss 68/85, EWiR 1985, 731 ...