Rz. 1357

Die Betriebspartner haben innerhalb der Grenzen von Recht und Billigkeit darüber zu befinden, in welchem Umfang und in welcher Weise sie die wirtschaftlichen Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ausgleichen wollen. Dies können sie in einer individualisierten, aber auch in einer pauschalierenden Weise tun (BAG v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07, NZA 2009, 210 = DB 2009, 347; BAG v. 17.11.1998, NZA 1999, 609 = DB 1999, 749). Allerdings sind Sozialplanregelungen durch einen Spruch der Einigungsstelle, die verschiedene Arten des Arbeitsplatzverlustes – nämlich Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis aufgrund unbedingter Kündigungen, Ablehnung von zumutbaren Fortsetzungsangeboten im Rahmen von Änderungskündigungen, Eigenkündigungen, Aufhebungsverträgen – nicht differenzieren, d.h. wenigstens hinsichtlich der Bemessung von Abfindungen der Höhe nach unterschiedlich, einem Nachteilsausgleich durch Abfindungszahlungen zuführen, regelmäßig ermessensfehlerhaft (LAG Frankfurt am Main v. 17.11.1987, LAGE § 112 BetrVG 1972 Nr. 12). Sozialpläne können als Dauerregelung auch den Erhalt und die Absicherung von Sonderzahlungen umfassen, wenn insoweit Nachteile für diejenigen Arbeitnehmer entstehen, die in einen anderen Betrieb versetzt werden (BAG v. 28.3.2007 – 10 AZR 719/05, NZA 2007, 1066 = EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 23).

 

Rz. 1358

Sozialpläne dürfen nicht ausschließlich Regelungen zulasten der Arbeitnehmer enthalten (BAG v. 7.8.1975 – 3 AZR 505/74, DB 1975, 1991 = BB 1975, 1390 für die Abgeltung unverfallbarer Versorgungsanwartschaften vor Inkrafttreten des BetrAVG). Die Betriebspartner sind allerdings nicht gehalten, Sozialplanleistungen stets nach einer bestimmten Formel zu bemessen. Sie können – insb. in kleineren Betrieben – die Leistungen auch nach den ihnen bekannten Verhältnissen der betroffenen Arbeitnehmer individuell festlegen. Die Betriebspartner dürfen dabei jedoch nicht nach unzulässigen Kriterien, etwa nach der Gewerkschaftszugehörigkeit der einzelnen Arbeitnehmer, differenzieren (BAG v. 12.2.1985 – 1 AZR 40/84, NZA 1985, 717 = DB 1985, 1487 = BB 1985, 1129). Stellt ein Sozialplan für die Bemessung der Abfindung wegen des Arbeitsplatzverlustes auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit ab, so zählen als Zeiten der Betriebszugehörigkeit auch solche, in denen der Arbeitnehmer keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht hat, weil sein Arbeitsverhältnis etwa wegen Erziehungsurlaubs oder Wehrdienstleistung geruht hat (LAG Hessen v. 19.5.1998, NZA-RR 1999, 366 = LAGE § 112 BetrVG 1972 Nr. 46).

 

Rz. 1359

Höchstbegrenzungsklauseln für Abfindungen wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes in Sozialplänen sind grds. zulässig. Eine Sozialplanregelung, nach der sich rechnerisch aus den Steigerungssätzen für Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltsverpflichtungen und Schwerbehinderung ergebende Betrag, soweit er die Höchstgrenze übersteigt, an alle Arbeitnehmer gleichmäßig zu verteilen ist, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn wegen der besonders hohen Arbeitslosenquote in der Region auch jüngere Arbeitnehmer Gefahr laufen, langfristig arbeitslos zu werden (BAG v. 23.8.1988 – 1 AZR 284/87, NZA 1989, 28 = DB 1988, 2465 = BB 1989, 144).

 

Rz. 1360

Bei altersbezogenen Differenzierungen ist neben § 75 BetrVG aber auch § 10 S. 3 Nr. 6 AGG zu beachten, wonach Differenzierungen möglich sind, wenn eine Abfindungsregelung geschaffen wurde, in der altersabhängige Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt erkennbar berücksichtigt worden sind. Zu beachten ist, dass zusätzlich stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gem. § 10 S. 2 AGG zu beachten bleibt (BAG v. 23.3.2010 – 1 AZR 832/08, NZA 2010, 774; BAG v. 12.4.2011, BeckRS 2011, 74461 zur Zulässigkeit von Altersstufenregelungen). In seiner bisherigen Rechtsprechung hat das BAG § 10 S. 3 Nr. 6 AGG auch als europarechtskonform eingestuft (BAG v. 26.5.2009 – 1 AZR 198/08, NZA 2009, 849). Zwar ließ die Andersen-Entscheidung des EuGH insoweit Zweifel aufkommen (EUGH v. 12.10.2010 – Rs. C-499/08, NZA 2010, 1341). Doch hat der EUGH am 6.12.2012 (NZA 2012, 1435) nach Vorlage durch das ArbG München vom 17.2.2011 (22 Ca 8260/10) entschieden, dass bei rentennahen Jahrgängen die Betriebsparteien eine Reduzierung von Leistungen bei Arbeitnehmern vorsehen können. So besteht die Möglichkeit der Reduzierung von Abfindungen auch für Arbeitnehmer rentennaher Jahrgänge, die nach einem relativ kurzen, vollständig oder überwiegend durch den Bezug von Arbeitslosengeld überbrückbaren Zeitraum gesetzliche Altersrente beziehen können (BAG v. 20.1.2009 – 1 AZR 740/07, NZA 2009, 425 = DB 2009, 1023; LAG Düsseldorf v. 16.9.2011, BeckRS 2011, 78008; BAG v. 11.11.2008, BeckRS 2009, 50692). Der EUGH hat in der Entscheidung vom 6.12.2012 (NZA 2012, 1435) insoweit eine Reduzierung von 50 % als angemessen angesehen. Dies ist jedoch nicht als zwingende Untergrenze zu sehen (BAG v. 26.3.2013, NZA 2013, 921). Dasselbe gilt auch in Fällen, in denen nicht beschäftigte Arbeitnehmer zeitlich befriste...

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