Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 892
Besonders und in zwei Punkten restriktiver geregelt hat § 80 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG das Recht, "in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen". Zum einen steht dieses Recht als solches nicht dem Betriebsrat als Gesamtgremium, sondern nur dem Betriebsausschuss oder einem nach § 28 BetrVG gebildeten weiteren Ausschuss zu. Das setzt voraus, dass der Betriebsrat mindestens neun Mitglieder hat (§ 27 Abs. 1 BetrVG). In kleineren Betrieben entfällt indes nicht das Einsichtsrecht, sondern es geht auf den Vorsitzenden oder ein nach § 27 Abs. 3 BetrVG bestimmtes anderes Mitglied über (BAG v. 18.9.1973 – 1 ABR 7/73, juris; BAG v. 30.9.2008 – 1 ABR 54/07, juris). Diesem beauftragten Betriebsratsmitglied muss nicht die Führung der laufenden Geschäfte überlassen sein (BAG v. 14.1.2014 – 1 ABR 54/12, juris). Auch wenn nur die genannten Betriebsratsmitglieder das Recht auf Einsicht wahrnehmen können, so dürfen und müssen sie die gewonnenen Erkenntnisse durchaus an das Gesamtgremium weitergeben, damit alle Betriebsratsmitglieder auf dem gleichen Wissensstand sind (Fitting, § 80 BetrVG Rn 70).
Rz. 893
Hinweis
Das Einsichtsrecht muss der Prüfung dienen, ob und inwieweit die Arbeitnehmerschutzregelungen eingehalten sind. Das bloße Ermitteln einer Rechtsgrundlage für mögliche Entgeltklagen einzelner Arbeitnehmer "ins Blaue hinein" ist nicht Teil der Überwachungsbefugnisse. Aus diesem Grund ist ein Antrag des örtlichen Betriebsrats, in die Gehaltslisten der Arbeitnehmer auch anderer Betriebe Einblick nehmen zu können, um eine mögliche Verletzung des unternehmensbezogenen Gleichbehandlungsgrundsatzes prüfen zu können, nicht begründet (BAG v. 26.9.2017 – 1 ABR 27/16, juris).
Rz. 894
Zum anderen reicht das Recht, "Einblick zu nehmen", weniger weit als der Anspruch auf "Überlassung" von Unterlagen. Der Arbeitgeber hat die Bruttovergütungslisten deshalb lediglich vorzulegen, nicht auszuhändigen. Freilich dürfen sich die Betriebsratsmitglieder Notizen machen; sie haben einen Anspruch darauf, bei der Einsichtnahme unter sich zu sein; der Arbeitgeber oder ein von ihm Beauftragter hat während dieser Zeit kein Anwesenheitsrecht (BAG v. 16.8.1995 – 7 ABR 63/94, juris). Das Gesetz gewährt den Betriebsratsmitgliedern Einblick nur in die Bruttovergütungslisten. Aus den Nettoabrechnungen ließen sich weitere Informationen über die persönlichen finanziellen Verhältnisse der Mitarbeiter wie etwa auch auf Lohnpfändungen gewinnen, die für die Ausübung von Mitbestimmungsrechten unerheblich sind (Fitting, § 80 BetrVG Rn 72). "Listen" sind in diesem Zusammenhang auch Datenträger (BAG v. 17.3.1983 – 6 ABR 33/80, juris). Der Darlegung eines besonderen Anlasses wird für das Einblicksrecht nicht verlangt (BAG v. 14.1.2014 – 1 ABR 54/12, juris).
Rz. 895
Personell erfasst das Recht den Einblick in die Löhne und Gehälter aller Beschäftigten, die dem BetrVG unterfallen, also auch in die Gehälter der AT-Angestellten, nicht aber in die der leitenden Angestellten nach § 5 Abs. 3 BetrVG. Einblick zu gewähren ist in sämtliche Vergütungsbestandteile, gerade auch in die individuell vereinbarten. Nur so kann der Betriebsrat seiner Aufgabe gerecht werden, die Einhaltung des Gleichbehandlungsgebotes und/oder einer betrieblichen Vergütungsordnung zu wahren und ggf. nach § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG initiativ zu werden (BAG v. 10.2.1987 – 1 ABR 43/84, juris; BAG v. 10.10.2006 – 1 ABR 68/05, juris). Zur Ermöglichung der Ausübung seines Kontrollrechtes kann der Betriebsrat verlangen, dass die Löhne und Gehälter nach ihren einzelnen Bestandteilen (Grundgehalt, Zuschlägen, Zulagen, Gratifikationen, Prämien), bei entsprechendem Bedarf auch geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselt werden (Fitting, § 80 BetrVG Rn 73).