Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 1467
Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung (BAG v. 22.7.1980 – 6 ABR 5/78, juris; BAG v. 12.6.1986 – 6 ABR 67/84, juris) hat das BAG im Beschl. v. 17.3.2010 (7 ABR 95/08, juris) entschieden, dass dem Arbeitgeber ggü. dem Betriebsrat generell kein Unterlassungsanspruch zustehe. Das BAG begründet dies mit der Konzeption des Gesetzes, welches in § 23 Abs. 3 BetrVG Unterlassungsansprüche gegen den Arbeitgeber vorsehe, in § 23 Abs. 1 BetrVG jedoch nur den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat und dessen Auflösung. Die bei Pflichtverletzungen der beiden Betriebsparteien unterschiedlichen Rechtsfolgen entsprächen den unterschiedlichen rechtlichen "Eigenschaften" von Arbeitgeber und Betriebsrat. Zudem mache die in § 23 Abs. 3 S. 2–5 BetrVG im Einzelnen normierte Vollstreckungsregelung tenorierter Unterlassungs-, Handlungs- und Duldungsansprüche keinen Sinn. Da der Betriebsrat vermögenslos sei, komme ihm ggü. eine Androhung, Festsetzung oder Vollstreckung von Ordnungs- und Zwangsgeld nicht in Betracht. Der von der Rechtsprechung anerkannte allgemeine Unterlassungsanspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber zur Sicherung der Mitbestimmungsrechte gebiete keine andere Betrachtungsweise. Dieser entspreche dem strukturellen Konzept des § 23 Abs. 3 BetrVG.
Hinweis
Der 1. Senat des BAG hat im Beschl. v. 15.10.2013 (1 ABR 31/12, juris) an dieser Rspr. festgehalten. Er hat jedoch dem Arbeitgeber Unterlassungsansprüche gegen Betriebsratsmitglieder nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB eingeräumt in einem Fall, in dem ein Betriebsratsmitglied per E-Mail im vom Arbeitgeber zu dienstlichen Zwecken zur Verfügung gestellten Account zum Streik aufgerufen hatte. Das BAG erläutert, § 1004 BGB richte sich gegen jedermann und sei durch § 23 BetrVG nicht ausgeschlossen. Durch die Nutzung des Accounts hat das Betriebsratsmitglied Eigentumsrechte des Arbeitgebers verletzt – dies sei künftig zu unterlassen.
Rz. 1468
Das BAG verweist den Arbeitgeber neben der Möglichkeit, die Amtsenthebung oder Auflösung des Betriebsrats zu betreiben, auf die Möglichkeit, Pflichtverletzungen des Betriebsrats mithilfe eines Feststellungsantrags gerichtlich festhalten zu lassen (BAG v. 28.5.2014 – 7 ABR 36/12, juris). Die Feststellung der fehlenden Berechtigung des Betriebsrats – in der Entscheidung ging es um ein Verbot parteipolitischer Betätigung des Betriebsrats – sei bei einer weiteren Pflichtverletzung von erheblicher Bedeutung für einen Auflösungsantrag ggü. dem Betriebsrat nach § 23 Abs. 1 BetrVG.
Rz. 1469
Die Entscheidung vom 17.3.2010 überzeugt nicht (so etwa auch Richardi/Maschmann, § 74 Rn 72; GK/Jacobs, § 74 Rn 131 ff.; ErfK/Kania, § 74 BetrVG Rn 37; zustimmend aber Fitting, § 74 Rn 74 ff. und nach § 1 Rn 62). Zwar ist in der Tat eine Zwangsvollstreckung gegen das Betriebsratsgremium kaum möglich – der Betriebsrat als Organ hat kein Vermögen, kann als solches auch nicht durch Ordnungs- oder Zwangshaft zur Erfüllung von Handlungs- oder Unterlassungspflichten angehalten werden. Das Gesetz kennt allerdings auch an anderer Stelle Unterlassungspflichten, bei denen eine Vollstreckung ausgeschlossen ist (§ 888 Abs. 3 ZPO bei Verurteilung eines Arbeitnehmers oder Dienstverpflichteten zur Arbeits- oder Dienstleistung). Der Betriebsrat ist jedoch, zumindest soweit er sich nicht völlig außerhalb seines Aufgabenkreises bewegt, teilrechtsfähig. Er kann etwa mit einem Berater als Betriebsrat einen Beratungsvertrag abschließen, kann von diesem auch verklagt werden, für den Betriebsrat Handelnde können nach § 179 BGB zum Einstand und zur Haftung verpflichtet sein (BGH v. 25.10.2012 – III ZR 266/11, juris, m. Anm. Bergmann, NZA 2013, 57; Müller/Jahner, BB 2013, 440; Dommermuth-Alhäuser/Heup, BB 2013, 1461; Lunk/Rodenbusch, NJW 2014, 1989; Richardi, RdA 2013, 317; weitere Einzelheiten vgl. Fitting, § 1 Rn 209 ff.; Richardi/Thüsing, Vor § 26 Rn 8 ff.; GK-BetrVG/Franzen, § 1 Rn 72 ff.).
Rz. 1470
Zudem besteht ein erhebliches praktisches Bedürfnis zur schnellen, im Wege einstweiliger Verfügung möglichen Klärung von Streitfragen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, etwa über die Berechtigung des Betriebsrats zur Abhaltung einer Betriebsversammlung oder zur Entfernung etwa von beleidigenden oder rechtsradikalen Äußerungen vom "Schwarzen Brett" des Betriebsrats. Letztlich kann aus verfassungsrechtlichen Gründen – Gebot effektiven Rechtsschutzes – auch dem Arbeitgeber eine schnelle Klärung von Rechtsfragen nicht versagt werden. Wenn man wie das BAG einen Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch gegen den Betriebsrat verneint – für eine Duldungsverpflichtung beständen die angeführten Vollstreckungsprobleme übrigens nicht in derselben Weise –, muss man den vom BAG angeführten Feststellungsantrag zur Entscheidung im Wege einstweiliger Verfügung zulassen (so ausdrücklich LAG Nürnberg v. 30.3.2006 – 6 TaBV 19/06, juris).
Rz. 1471
Zu denken ist schließlich an Unterlassungsansprüche ggü. einzelnen Betriebsratsmitgliedern; ob solche Ansprüche begründet sein können, wenn di...