Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
1. Allgemeines
Rz. 596
Um den Betriebsrat überhaupt in die Lage zu versetzen, die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen, haben Betriebsräte gem. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG Anspruch auf bezahlte Freistellung von ihrer beruflichen Tätigkeit zur Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen.
Rz. 597
Dabei sind
streng zu unterscheiden.
Rz. 598
Der Schulungsanspruch nach § 37 Abs. 6 BetrVG steht dem Betriebsrat als Organ zu, nicht dem einzelnen Betriebsratsmitglied. Er ist immer dann zu gewähren, wenn für den Betriebsrat (das Organ) erforderliche Kenntnisse erworben werden müssen. Dies entscheidet der Betriebsrat als Gremium. Allerdings hat der Betriebsrat dann, wenn mehrere gleichartige und gleichwertige Schulungsveranstaltung zur Auswahl stehen, ein Auswahlrecht des einzelnen Betriebsratsmitglieds zu beachten; diese Auswahl kann das Betriebsratsmitglied gegen das Betriebsratsorgan einklagen (LAG Berlin-Brandenburg v. 20.5.2020 – 15 TaBV 85/20, juris; Fitting, § 37 Rn 234; GK/Weber, § 37 Rn 308). Würde man dies verwehren, könnte etwa der Betriebsrat bestimmen, dass er den Teilnehmer lediglich auf eine von der Gewerkschaft organisierte Schulung entsendet, selbst wenn das Betriebsratsmitglied eine "neutrale" Schulung wünscht.
Rz. 599
Jedes Betriebsratsmitglied hat auch den Anspruch gegen den Betriebsrat, dass dieser erforderliche Schulungsmaßnahmen beschließt. Dies gilt in jedem Fall für Grundschulungen erstmals gewählter Betriebsratsmitglieder, die jedem Betriebsratsmitglied zustehen, das keine entsprechenden Kenntnisse besitzt. Dies gilt aber auch dann, wenn der Betriebsrat dem Mitglied Spezialaufgaben überträgt, für deren Erledigung dieses entsprechende Spezialkenntnisse – etwa über den Datenschutz – benötigt (vgl. GK/Weber, § 37 Rn 306). Der Betriebsrat hat zudem nach § 75 Abs. 1 BetrVG die unterschiedliche Behandlung von Betriebsratsmitgliedern wegen Nationalität, politischer oder gewerkschaftlicher Einstellung oder wegen des Geschlechts zu unterlassen, und zwar auch bei der Frage, für welche Betriebsratsmitglieder er welche Schulungsmaßnahmen beschließt (GK/Weber, § 37 Rn 304). Auch insoweit kann das einzelne Betriebsratsmitglied im Beschlussverfahren gegen das Gremium Ansprüche geltend machen.
Rz. 600
Der Bildungsurlaub nach § 37 Abs. 7 BetrVG dagegen stellt einen Anspruch des einzelnen Betriebsratsmitgliedes dar. Er ist auf drei Wochen (bzw. vier Wochen in der ersten Amtszeit) pro Amtszeit begrenzt. Die von der zuständigen obersten Arbeitsbehörde des Landes anerkannten Schulungs- und Bildungsveranstaltungen müssen nicht mit den konkreten Aufgaben im Betriebsrat zusammenhängen, sondern es reicht, wenn Kenntnisse vermittelt werden, die der Betriebsratsarbeit dienlich, nützlich oder förderlich sind.
Rz. 601
Bei erforderlichen Schulungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG muss der Arbeitgeber nicht nur die Vergütung des Betriebsratsmitgliedes für die Zeit der Schulung fortzahlen, sondern auch die Schulungskosten gem. § 40 BetrVG übernehmen. Bei Schulungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 7 BetrVG handelt es sich (nur) um einen bezahlten Freistellungsanspruch. Der Arbeitgeber hat nur das Entgelt weiterzuzahlen, aber keine Fahrt-, Übernachtungs- und Tagungskosten. In beiden Fällen steht dem Betriebsratsmitglied dasjenige Entgelt zu, was es erhalten würde, wenn es gearbeitet hätte. Wird es bspw. regelmäßig über die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hinaus zu weiteren Arbeitseinsätzen herangezogen, ist während der Schulungsteilnahme das Entgelt auch für die ausgefallenen zusätzlichen Arbeitszeiten fortzuzahlen (BAG v. 3.12.1997 – 7 AZR 490/93, juris).
2. Bildungsmaßnahmen nach § 37 Abs. 7 BetrVG
Rz. 602
Zwar handelt es sich beim Anspruch auf Bildungsmaßnahmen nach § 37 Abs. 7 BetrVG um einen Individualanspruch eines jeden Betriebsratsmitgliedes. Das Betriebsratsmitglied kann daher selbst auswählen, welche Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 7 BetrVG es besuchen möchte. Aber es muss auch bei einer Bildungsveranstaltung nach § 37 Abs. 7 BetrVG der Betriebsrat über die Teilnahme beschließen (BAG v. 28.8.1996 – 7 AZR 840/95, juris) und dem Arbeitgeber mitteilen, dass die Seminarteilnahme nach § 37 Abs. 7 BetrVG erfolgt. Bei seinem Beschluss hat der Betriebsrat neben den betrieblichen Notwendigkeiten auch zu berücksichtigen, ob das Betriebsratsmitglied die auf der Bildungsveranstaltung vermittelten Kenntnisse noch für die Betriebsratstätigkeit brauchen kann; ggf. kann die Bildungsmaßnahme kurz vor dem Ende der Amtszeit verweigert werden (BAG v. 28.8.1996 – 7 AZR 840/95, juris – allerdings soll eine verbleibende Amtszeit von mehr als drei Wochen nach dem Ende der Schulung ausreichend sein; a.A. Fitting, § 37 BetrVG Rn 217 mit dem Hinweis darauf, dass es sich um einen Individualanspruch handelt, der von der Amtszeit des Organs nicht abhängig ist; ähnlich Richardi/Thüsing, § 37 Rn 192: kein Anspruch, wenn die Amtszeit am letzten Tag der Schulung endet).