Rz. 7
Das ILO-Abkommen Nr. 87 enthält keine ausdrückliche Streikgarantie. Es wird aber vom Sachverständigenausschuss so interpretiert, dass das Streikrecht mit weitgehenden Garantien ausgestattet werden soll: Dies gilt für den Proteststreik gegen staatliche Maßnahmen der Wirtschafts- und Sozialpolitik und für ein Streikrecht der Beamten.
Rz. 8
Die europäische Sozialcharta (ESC) gewährleistet in Art. 6 Nr. 4 ausdrücklich kollektive Maßnahmen, vor allem das Streikrecht. Dabei findet sich aber keine Begrenzung auf ein gewerkschaftliches Streikmonopol oder gar auf die Beschränkung des Streiks im Hinblick auf tariflich regelbare Ziele. Das Ministerkomitee des Europarates hat deshalb 1998 die BRD gerügt: Die Rechtswidrigkeit nicht gewerkschaftlicher, politischer und von Demonstrations- und Solidaritätsstreiks verstoße gegen die ESC. Deswegen sprach dieses Komitee die Empfehlung an die Bundesregierung aus, dies in angemessener Weise zu berücksichtigen (hierzu Däubler, AuR 1998, 144; ders., Arbeitsrecht, Bd. 1, 321 f.). Umstritten sind insofern, ob es trotz Anwendbarkeit der ESC in Deutschland bei einer Tarifbezogenheit des Streiks und dem daraus zu folgernden gewerkschaftlichen Streikmonopol bleiben muss (hierzu Brecht-Heitzmann/Sadat Khonsari, ZESAR 2017, 463 ff.).
Rz. 9
Das BAG vertritt nunmehr, dass die Gerichte die ESC als völkerrechtliche Verpflichtung beachten müssen, wenn sie die im Gesetzesrecht bestehenden Lücken anhand von Wertentscheidungen der Verfassung ausfüllen wollen (BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, DB 2007, 2038). Damit hat das BAG Solidaritätsstreiks – unter Aufgabe der bisherigen Rspr. – nunmehr für grds. zulässig erklärt (BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, AuR 2004, 149; BAG v. 19.6.2007, DB 2007, 2038). Darüber hinaus hält das ArbG in Gelsenkirchen unter Hinweis auf Art. 6 Nr. 4 ESC sog. wilde Streiks, die sich auf tariflich nicht regelbare Ziele beziehen, z.B. die Verhinderung einer Betriebsschließung, für rechtmäßig (ArbG Gelsenkirchen v. 13.3.1998 – 3 Ca 3173/97, AiB 1998, 655).
Rz. 10
Die EU-Grundrechtecharta garantiert in Art. 12 und in Art. 28 Koalitions-, Tarif- und Streikrecht.
Rz. 11
Nach Ansicht des EuGH beschränken Streiks die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit der Art. 43 und 49 EGV. Diese Eingriffe können durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses, wie den Arbeitnehmerschutz oder das Streikrecht, gerechtfertigt sein. Das Streikrecht, so der EuGH, sei gleichwertig mit den vorgenannten Grundfreiheiten. Kampfmaßnahmen zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen seien grds. zulässig. Sie müssten aber zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet sein und dürften nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles notwendig ist. Dies betrifft z.B. die Frage, ob die Gründung einer Niederlassung im EU-Ausland verhindert werden darf oder ob die lettischen Bau-Tarifverträge mit nicht tarifautonomen Mitteln verdrängt werden können (EuGH v. 11.12.2007 und EuGH v. 18.12.2007 – C 438/05, AuR 2008, 55 und 59; Bücker, NZA 2008, 212; Kocher, AuR 2008, 13; Sunnus, AuR 2008, 1; Zwanziger, DB 2008, 294). Die Folge ist nunmehr, dass die nationalen Gerichte endgültig entscheiden müssen. Der EuGH sieht offensichtlich keine Probleme in Bezug auf das Streikziel. Dabei geht es um das Verhindern des Ausflaggens oder die Blockade einer Baustelle (ErfK/Linsenmaier, GG, Art. 9 Rn 102; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 20).
Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch im Hinblick auf Art. 11 der EMRK mit zwei Urteilen vom 12.11.2008 und 21.4.2009 entschieden, dass für den Kernbereich hoheitlicher Tätigkeiten ein Streik von Beamten verboten werden darf. Umgekehrt folgt daraus, dass ein allgemeines und absolutes Streikverbot für Beamte gegen Art. 11 EMRK verstoßen dürfte. Das würde bedeuten, dass Beamte grundsätzlich Gewerkschaften beitreten und auch Tarifverträge verhandeln könnten und diese auch erstreiken dürften.
Das Streikverbot für Beamte wurde nunmehr auch durch das BVerfG anerkannt (BVerfG v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, BvR 646/15, BvR 1068/14, BvR 1395/13). Das BVerfG leitete in diesen Entscheidungen ein Streikverbot für Beamte als eigenständigen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums aus Art. 33 Abs. 5 GG ab. Dieser sei mit den Gewährleistungen der EMRK vereinbar und stehe mit der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG im Einklang. Dem entspricht eine in Deutschland überwiegende Meinung, nach der es das gegenwärtige Recht des öffentlichen Dienstes nicht zulasse, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Beamten durch Tarifverträge zu gestalten, was u.a. auch die Unzulässigkeit des Beamtenstreiks zur Folge habe.