Rz. 17
Der vom Bundesverfassungsgericht inzwischen sehr weit verstandene, ebenfalls in § 90 Abs. 2 BVerfGG verankerte Grundsatz der Subsidiarität gebietet es, dass der Beschwerdeführer über die Erschöpfung des Rechtswegs hinaus im fachgerichtlichen Ausgangsverfahren im Rahmen des Zumutbaren alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, um es gar nicht erst zu dem Verfassungsverstoß kommen zu lassen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken, um eine Grundrechtsverletzung zu verhindern, oder um die geschehene Grundrechtsverletzung zu beseitigen. Das gilt nicht nur dann, wenn das Gesetz einen Auslegungs- und Entscheidungsspielraum offenlässt, sondern auch dann, wenn ein solcher Spielraum fehlt. Erreicht werden soll, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen trifft; es soll nicht Aussagen über den Inhalt einer einfach-gesetzlichen Regelung treffen müssen, solange sich hierzu noch keine gefestigte fachgerichtliche Rspr. entwickelt hat. Die mit der Anrufung der Fachgerichte verbundene umfassende gerichtliche Vorprüfung soll bewirken, dass dem Bundesverfassungsgericht ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und ihm die Fallanschauung und die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die sachnäheren Fachgerichte vermittelt wird. Das gilt vor allem dort, wo die Beurteilung der mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen die Prüfung tatsächlicher und einfach-rechtlicher Fragen voraussetzt, für die das Verfahren vor den Fachgerichten besser geeignet ist. Die Verfassungsbeschwerde ist danach nur dann zulässig, wenn sie trotz Erschöpfung der regelmäßigen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung einer Grundrechtsverletzung erforderlich wird. Dies ist nicht der Fall, wenn eine anderweitige Möglichkeit besteht oder bestand, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen. Das Subsidiaritätsprinzip ist auch auf die Fälle anzuwenden, in denen ein Beschwerdeführer den Versuch unterlassen hat, durch Einlegung früherer, ihm zumutbarer Rechtsbehelfe die von ihm behauptete Grundrechtsverletzung abzuwenden. Vorrangig sind deshalb die zur Verfügung stehenden fachgerichtlichen Verfahren durchzuführen. Der Grundsatz der Subsidiarität gilt vor allem auch, wenn vor einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung über die erhobenen verfassungsrechtlichen Rügen schwierige einfach-rechtliche Fragen zu klären sind; diese fachrechtliche Klärung ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts. Der Beschwerdeführer muss auch alle sonstigen Möglichkeiten ausschöpfen, um evtl. bestehende Grundrechtsverletzungen ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts zu beseitigen, insbesondere Anhörungsrüge bei dem Fachgericht erheben (vgl. Rdn 16). Die Pflicht zur vorherigen Anrufung der Fachgerichte besteht allerdings ausnahmsweise dann nicht, wenn die Anrufung der Fachgerichte nicht zuzumuten ist, weil das offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre und sofern der mit dem Subsidiaritätsgrundsatz verfolgte Zweck, eine fachgerichtliche Klärung der verfassungsrechtlich relevanten Sach- und Rechtsfragen herbeizuführen, nicht erreicht werden kann.
So muss z.B. ein noch nicht rechtskräftig abgelehnter Hilfsantrag, der im Ergebnis auf dasselbe Ziel hinausläuft wie der rechtskräftig abgelehnte Hauptantrag, vor den Fachgerichten zunächst weiterverfolgt werden. Beruht ein Eingriffsakt auf einer grundrechtswidrigen Vorschrift, die Ausnahmen vorsieht, so muss der Beschwerdeführer vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde versuchen, die Beseitigung des Eingriffsakts unter Berufung auf die Ausnahmeregelung zu erwirken, wenn dies nicht offensichtlich aussichtslos ist. Oder es muss zur Abwendung eines drohenden Strafverfahrens versucht werden, die erforderliche behördliche Erlaubnis zu erlangen; ggf. ist auch ein Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz gegen polizeiliche oder staatsanwaltliche Ermittlungen gem. §§ 23 ff. EGGVG zu stellen. Ggf. ist es auch nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde noch zumutbar, zu versuchen, den gerügten Grundrechtsverstoß durch eine Entschädigungsklage nach § 198 GVG zu beseitigen.
Bei offensichtlichen Fehlern der Gerichte, z.B. Rechenfehler in den Entscheidungsgründen, sind ferner primär alle denkbaren, ggf. auch außerordentliche Rechtsbehelfe (z.B. Gegenvorstellung etc.) zu ergreifen – und zwar ebenfalls binnen Monatsfrist (!) –, um eine Korrektur der fachgerichtlichen Entscheidung durch das Fachgericht selbst zu erreichen. Durch eine auf einen solchen außerordentlichen Rechtsbehelf ergehende Entscheidung wird die Verfassungsbeschwerdefrist jedoch generell nicht neu in Lauf gesetzt. – Mit der Pflicht zur vorherigen Erhebung einer Anhörungsrüge ist die Bedeutung der außer...