Rz. 30
Liegt ein der gesetzlichen Vorgabe entsprechendes Angebot des Arbeitgebers vor und lässt der Arbeitnehmer die Klagefrist verstreichen, entsteht ein auf den Ablauf der Kündigungsfrist aufschiebend bedingter Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung in einer gesetzlich definierten Höhe. Das Verstreichen der Kündigungsfrist ist keine echte Anspruchsvoraussetzung, sondern eine objektive Bedingung zur Anspruchsentstehung. Die Konstruktion des § 1a KSchG ist die typische Konstruktion eines aufschiebend bedingten Anspruchs, der als unbedingter Anspruch nicht bereits mit dem Angebot, sondern erst mit Bedingungseintritt entsteht. Deshalb ist auch ein (teilweiser) Verzicht des Arbeitnehmers nach Verstreichenlassen der Klagefrist und vor Eintritt der Bedingung (Ende der Kündigungsfrist) ohne weiteres möglich.
Rz. 31
Tritt die Bedingung (Ende des Arbeitsverhältnisses) nicht ein, erwächst der unter einer Bedingung stehende Anspruch nicht zum "Vollrecht" Dieser Fall kann eintreten, wenn der Arbeitgeber nach Ablauf der Klagefrist, jedoch vor Verstreichen der Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis zu einem früheren Zeitpunkt beendet (sog. "Gleichwohlkündigung"). Dies kann im Wege der ordentlichen Kündigung passieren, wenn die zuerst ausgesprochene ordentliche Kündigung eine längere Kündigungsfrist als die gesetzlich, tarifvertraglich oder arbeitsvertraglich zugrunde zu legende Kündigungsfrist vorsah. Insbesondere kann dies aber auch im Falle einer außerordentlichen Kündigung der Fall sein. Endet das Arbeitsverhältnis vorher durch Tod des Arbeitnehmers, kann der Anspruch deshalb nicht nach § 1922 Abs. 1 BGB auf den Erben übergehen.
Rz. 32
Praxishinweis
Die Konstruktion des aufschiebend bedingten Anspruchs hat zwei wesentliche Konsequenzen:
1. |
Der Arbeitnehmer trägt das Insolvenzrisiko. Fällt der Arbeitgeber in der Situation des § 1a KSchG nach Verstreichen der Klagefrist in die Insolvenz, ist die Forderung auf Zahlung der Abfindung eine einfache Insolvenzforderung nach §§ 38, 108 Abs. 2 InsO, sofern nicht § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO greift. |
2. |
Da der Anspruch nur aufschiebend bedingt entsteht, ist er vor Eintritt der Bedingung nicht vererblich. |
Rz. 33
Für den Arbeitgeber wichtigste Rechtsfolge ist es, dass infolge des Verstreichenlassens der Klagefrist gem. § 7 KSchG die Kündigung als sozial gerechtfertigt gilt. Gem. §§ 4, 13 KSchG sind hierdurch auch alle anderen Gründe, die der Rechtmäßigkeit der (schriftlich ausgesprochenen) Kündigung entgegenstehen könnten, erledigt. Es hindert beispielsweise die Rechtmäßigkeit der Kündigung auch nicht, wenn vor der Kündigung der Betriebsrat nicht angehört worden ist.
Rz. 34
Infolge des Verstreichenlassens der Klagefrist erwirbt der Arbeitnehmer einen gesetzlich definierten, aber noch aufschiebend bedingten, Anspruch, dessen Höhe sich aus § 1a Abs. 2 KSchG ergibt. Das einzige "gesetzliche" an dem Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung nach § 1a KSchG ist die Höhe des Anspruchs.
Rz. 35
Die gesetzlich fixierte Höhe bezieht sich ausschließlich auf das Zustandekommen der Abfindungsvereinbarung im Wege des § 1a Abs. 1 KSchG. Es besteht daher keine Notwendigkeit, die Abfindungshöhe etwa als "gesetzlichen Mindeststandard" zu betrachten. Lediglich dann, wenn eine Abfindungsvereinbarung durch ein dem § 1a KSchG entsprechendes Angebot und eine Annahme durch Verstreichenlassen der Klagefrist zustande kommt, gilt § 1a Abs. 2 KSchG. § 1a KSchG ist eine Ausnahmevorschrift, da sie durch eine atypische Willenserklärung und eine gesetzliche Fiktion einen Anspruch zustande kommen lässt. Ausnahmevorschriften sind eng auszulegen.
Rz. 36
Die Höhe der Abfindung setzt sich aus zwei Komponenten zusammen, dem Faktor "Dauer der Betriebszugehörigkeit" und der "Höhe des Bemessungsgehaltes".
Rz. 37
Der Faktor "Dauer der Betriebszugehörigkeit" bemisst sich nach der Grundregel der vollen Jahre. Er beträgt für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses 0,5, und zwar ohne die zeitlichen Obergrenzen des § 10 Abs. 1, 2 KSchG. Die Abfindung bemisst sich nach Jahren der Betriebszugehörigkeit, nicht nach Monaten. Die Bestimmung des § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG (Aufrundungsvorschrift) stellt hierzu eine Ausnahme dar. Zeiten eines Jahres, in denen noch nicht sechs Monate zurückgelegt sind, werden daher auch nicht anteilig berücksichtigt.
Rz. 38
Beispiel
Ist ein Arbeitnehmer zwei Jahre und vier Monate bei einem Arbeitgeber beschäftigt, besteht das Arbeitsverhältnis zwei volle Jahre. Der Faktor beträgt somit (2 × 0,5 =) 1.
Rz. 39
Bei der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden (§ 1a Abs. 2 S. 1 KSchG). Unklar ist nach dem Wortlaut, ob diese Aufrundungsregelung generell nur für den Zeitraum zwischen den ersten sechs Monaten Betriebszugehörigkeit und der Vollendung des ersten Jahres gilt. Nach der Gesetzesbegründung liegt Letzteres nahe. Dort heißt es: "Durch die Aufrundungsregel wird sichergestellt, dass auch ...