Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 446
Nach § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG darf der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate demselben Entleiher überlassen; der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate tätig werden lassen. Der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher ist vollständig anzurechnen, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen, vgl. § 1 Abs. 1b S. 2 AÜG. In einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche kann eine von § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG abweichende Höchstüberlassungsdauer festgelegt werden, § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG (vgl. dazu im Einzelnen Rdn 107 ff.).
Rz. 447
Nach § 19 Abs. 2 AÜG werden bei der Berechnung der Höchstüberlassungsdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG Überlassungszeiten vor dem 1.4.2017 nicht berücksichtigt. Soweit nach § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG in einem Tarifvertrag eine abweichende Überlassungshöchstdauer vorgesehen ist, können die Tarifvertragsparteien auch die Anrechnung von Überlassungszeiten vor dem 1.4.2017 vorsehen. Auf Vorlage des LAG Berlin-Brandenburg hat der EuGH am 17.3.2022 entschieden, dass die Richtlinie 2008/104 der Übergangsvorschrift in § 19 Abs. 2 AÜG insoweit entgegensteht, als sie dem nationalen Gericht die Möglichkeit nimmt, die tatsächliche Dauer der Überlassung zu berücksichtigen, um anhand derer festzustellen, ob diese noch "vorübergehend" i.S.d. Richtlinie war. Allerdings sehe Unionsrecht keine maximale Höchstdauer für die Überlassung vor. Folglich wäre ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privatpersonen anhängig ist, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, eine solche unionsrechtswidrige Übergangsvorschrift unangewendet zu lassen. Es könne aber einen missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender Überlassungen darstellen, wenn die Überlassung auf denselben Arbeitsplatz bei einem entleihenden Unternehmen für eine Dauer von 55 Monaten erfolge. Voraussetzung wäre, dass die aufeinanderfolgenden Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers bei demselben entleihenden Unternehmen zu einer Beschäftigungsdauer bei diesem führen, die länger ist als das, was unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände, zu denen insbesondere die Branchenbesonderheiten zählten, und im Kontext des nationalen Regelungsrahmens "vernünftigerweise als vorübergehend" betrachtet werden könnte. Weitere Voraussetzung wäre, dass auch keine objektive Erklärung dafür gegeben werden könne, dass das betreffende entleihende Unternehmen auf eine Reihe aufeinanderfolgender Leiharbeitsverträge zurückgreift. Diese Feststellungen zu treffen, sei Sache des vorlegenden Gerichts, im konkreten Fall also des LAG Berlin-Brandenburg.
Rz. 448
Aufgrund des vorzeitigen Inkrafttretens der "Drehtürklausel" konnte der Gesetzgeber hinsichtlich § 19 AÜG a.F. seinerzeit nicht schlichtweg auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des 1. AÜG-ÄndG abstellen. Vielmehr musste er – unter Beachtung des Vertrauensschutzgrundsatzes – einen anderen Stichtag wählen (dazu vorstehend Rdn 443). Solche "Kunstgriffe" musste der Gesetzgeber bei Schaffung der Übergangsregelung nach § 19 Abs. 2 AÜG nicht erneut bemühen. Inkrafttreten und Vertrauensschutz sind vielmehr vereinheitlicht. Auf den Zeitpunkt der Begründung des Leiharbeitsverhältnisses kommt es für die Berechnung der Höchstüberlassungsdauer folglich nicht mehr an.
Rz. 449
Nach der Gesetzesbegründung stellt die Regelung sicher, dass in die Höchstüberlassungsdauer nur Verleihzeiten ab dem Inkrafttreten des Gesetzes einzurechnen sind. Dies ermögliche es Sozialpartnern, Verleihern und Entleihern sowie den betroffenen Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern, sich auf die geänderte Rechtslage einzustellen.
Rz. 450
Eine entsprechende Übergangsregelung hatte bereits der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales enthalten. Die Sozialpartner waren in der dortigen Begründung allerdings noch nicht angesprochen (dazu Rdn 457).