Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezugspunkt der Überlassungsdauer bei der Zeitarbeit. Ermächtigung der Tarifvertragsparteien zur Regelung der Höchstüberlassungsdauer in der Zeitarbeit. Angemessene und vorübergehende Überlassungszeit von 36 Monaten
Leitsatz (redaktionell)
1. Bezugspunkt der Überlassungsdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG ist die Dauer der Eingliederung des überlassenen Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation eines Entleihers. Diese arbeitnehmerbezogene Berechnung der Überlassungsdauer ist mit dem Unionsrecht vereinbar.
2. Der Gesetzgeber hat die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche zur Normsetzung nach Art. 9 Abs. 3 GG über die im Tarifvertragsgesetz vorgesehenen Arten von Tarifnormen und deren Bindungswirkung hinaus in zulässiger Weise gesetzlich ausgestaltet. Die Tarifvertragsparteien sind befugt, die Höchstüberlassungsdauer in der Zeitarbeit abweichend vom AÜG zu regeln.
3. Eine im Tarifvertrag oder einer darauf beruhenden Betriebsvereinbarung geregelte Überlassungshöchstdauer von insgesamt 36 Monaten ist als "vorübergehend" anzusehen.
Normenkette
AÜG § 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b, § 10 Abs. 1 S. 1, § 19 Abs. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 1b; TVG § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1-2, § 4 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; RL 2008/104/EG Art. 1 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 21.03.2022; Aktenzeichen 2 Ca 576/21) |
Tenor
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 21.03.2022 - 2 Ca 576/21 - wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens und die Kosten der Nebenintervention zu tragen.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist.
Der Kläger ist seit dem 1. September 2014 aufgrund Arbeitsvertrags vom 25. Juli 2014 bei der E., die dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten ist (Nebenintervenientin), als Leiharbeitnehmer beschäftigt. Er wurde seitdem der Beklagten ununterbrochen bis zum 31. März 2020 auf der Grundlage eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags überlassen. Die Beklagte ist Mitglied im Arbeitgeberverband Chemie Rheinland-Pfalz e.V., der seinerseits Mitglied im Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V. ist.
Zum 1. April 2017 trat der zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V., dem Arbeitgeberverband Chemie Rheinland-Pfalz e.V. und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie - Hauptvorstand und Landesbezirk Rheinland-Pfalz/Saarland - für die Beklagte abgeschlossene unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag zur Zeitarbeit in Kraft, der u.a. folgende Regelungen enthält:
"Präambel:
Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit ist Zeitarbeit unabdingbar. Der Einsatz von Zeitarbeitnehmern bildet befristete Bedarfe ab und ermöglicht die notwendige personalwirtschaftliche Flexibilität im Rahmen eines nachhaltigen Personalkonzepts.
Dies beinhaltet die Nutzung flexibler Beschäftigungsformen im Rahmen abgestimmter Strukturen und Prozesse, die bereits in der Vergangenheit einen unverzichtbaren Beitrag zur Beschäftigungssicherung geleistet haben und daher fortzuführen und zeitgemäß auszugestalten sind.
Die Tarifvertragsparteien stimmen darin überein, dass Arbeitnehmerüberlassung nicht zur Deckung dauerhaften Personalbedarfs genutzt werden soll. Arbeitnehmerüberlassung kann auch als Instrument zur Rekrutierung eigenen Personals dienen, insofern als sich bei Bedarf und entsprechender Eignung für Zeitarbeitnehmer auch eine Beschäftigungsperspektive bei C. eröffnen kann. Die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche vereinbaren hiermit für die C. unter Anwendung der in § 1 Absatz 1b) Satz 3 AÜG eröffneten Regelungsmöglichkeit die Ausdehnung der Höchstüberlassungsdauer.
§ 1 Geltungsbereich
Der Tarifvertrag gilt räumlich, fachlich und persönlich für die C. (in B-Stadt, sowie alle zum Betrieb gehörenden Außenstellen, wie H., H-Stadt etc.) und die bei ihr eingesetzten Zeitarbeitnehmer. Er gilt nicht für Arbeitnehmer der C.. Für diese verbleibt es bei den allgemeinen tariflichen und betrieblichen Regelungen.
§ 2 Höchstüberlassungsdauer
Arbeitgeber und Betriebsrat können mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien eine über 18 Monate hinausgehende Höchstüberlassungsdauer vereinbaren.
Dabei soll die Höchstüberlassungsdauer einer Arbeitnehmerüberlassung auf Grundlage von § 1 Absatz 1b) Satz 3 AÜG 36 Monate nicht überschreiten.
Arbeitgeber und Betriebsrat können in nachfolgend beschriebenen Fällen mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien eine über 18 Monate hinausgehende Höchstüberlassungsdauer vereinbaren:
- Sofern und soweit der Einsatz aus einem Verleiherbetrieb heraus erfolgt, auf den ein Tarifvertrag der chemischen Industrie Anwendung findet,
- Anwendungsfälle, in denen die Beschäftigung ansonsten in tarifkonkurrierenden Bereichen mit deutlich niedrigerer Vergütung stattfinden würde,
- Anwendungsfälle, die z. B. dem überbrückungsweisen Besetzen offener Stellen oder der Beschäftigungssicherung dienen, oder
- Anwendungsfälle, die den Bed...