Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 192
Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann nach § 256 Abs. 1 ZPO Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn dem konkreten vom Feststellungsantrag betroffenen Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und der erstrebte Feststellungsanspruch geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen.
Das Feststellungsinteresse ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung schon dann gegeben, wenn der Beklagte das Recht des Klägers ernstlich bestreitet. Bei Verkehrsunfallklagen, gestützt auf § 823 Abs. 1 BGB oder § 7 Abs. 1 StVG, kommt es hinsichtlich des Feststellungsantrages nicht auf die Wahrscheinlichkeit des Eintritts weiterer, künftiger Schäden an. Ein Feststellungsinteresse besteht ferner bei solchen Fallkonstellationen, dass zwar ein Vollstreckungstitel vorliegt, die Parteien aber über die Reichweite seiner – zu Zweifeln Anlass gebenden – Urteilsformel streiten.
Aufgrund der Tatsache, dass das Vorliegen eines Feststellungsinteresses problematisch sein kann, sollte der Feststellungskläger prüfen, ob eine Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO in Betracht kommt. Voraussetzung ist zwar ebenfalls, dass ein Rechtsverhältnis zwischen den Prozessparteien besteht, welches zudem vorgreiflich sein muss. Ein rechtliches Interesse an der Feststellung muss aber nicht vorliegen.
Rz. 193
Der Antrag darauf, einen Anspruch durch ein Urteil feststellen zu lassen, ist meist deshalb problematisch, weil derartige Anträge grundsätzlich nachrangig gegenüber Leistungsklagen sind. Nach diesem sog. Vorrang der Leistungsklage fehlt grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann. Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm nach der ständigen Rechtsprechung des BGH das Feststellungsinteresse und die Klage ist unzulässig, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann.
Die Feststellungsklage ist aber – trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben – zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaflichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt, so beispielsweise, wenn zu erwarten ist, dass der Beklagte sich dem Feststellungsurteil beugen und bereits auf das Feststellungsurteil hin leisten wird. Davon ist auszugehen, wenn öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten oder Versicherungsunternehmen verklagt werden.
Rz. 194
Befindet sich der anspruchsbegründende Sachverhalt (z.B. der Schaden) zur Zeit der Klageerhebung noch in der Fortentwicklung, so ist eine Feststellungsklage nach der ständigen Rechtsprechung des BGH insgesamt zulässig, auch wenn der Anspruch teilweise beziffert werden könnte. Es ist allgemein anerkannt, dass ein Kläger grundsätzlich nicht gehalten ist, seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten bzw. die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Einzelne bei Klageerhebung bereits entstandene Schadenspositionen stellen lediglich einen Schadensteil in diesem Sinne dar. Der Kläger kann also in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren. In einem solchen Fall kann er aber auch bezüglich eines bereits bezifferbaren Teils des Schadens Leistungsklage und im Übrigen Feststellungsklage erheben, muss dies allerdings nicht.
Eine solche Ausnahme besteht u.a., wenn der Kläger künftigen Schadensersatz aus einer zuvor eingetretenen Rechtsgutverletzung, z.B. einer Körperverletzung, geltend machen will. Dann genügt, dass möglicherweise noch ein Schaden eintreten wird. Bei etwaig künftig noch entstehenden Schmerzensgeldansprüchen gilt dies selbst dann, wenn der Anspruch dem Grunde nach bereits für gerechtfertigt erklärt worden ist.
Beispiel
Der Kläger will nicht nur materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall gegen eine Kfz-Haftpflichtversicherung einfordern, sondern zugleich klären lassen, dass diese ihm auch künftig alle Schäden materieller und immaterieller Art ersetzen muss, die eventuell noch auf den Verkehrsunfall zurückzuführen sein werden. Der Antrag könnte dann beispielsweise so formuliert werden:
„[…] die Beklagte zu verurteilen,
1. |
an den Kläger 1.500,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie |
2. |
ein in das billige Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 9.000,00 EUR nebs... |