Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 62
Das Mahnverfahren ist eine ganz überwiegend erfolgreiche prozessuale Maßnahme zur Beitreibung von Forderungen. Es ist zu empfehlen, wenn der Antragsteller für einen voraussichtlich unstreitig bleibenden Anspruch auf schnellem Weg einen Vollstreckungstitel gegen einen möglicherweise nur "zahlungsfaulen" Schuldner erwirken will, wenn ein Widerspruch nicht zu erwarten ist. Nur in 10–20 % der Fälle wird überhaupt innerhalb der Frist von zwei Wochen Widerspruch eingelegt und damit der Anspruch bestritten. Ist das nicht der Fall, kann formularmäßig ein Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids gestellt werden, aus welchem – wie aus der Bezeichnung bereits hervorgeht – die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. Zwar kann gegen den Vollstreckungsbescheid noch Einspruch eingelegt werden. Dennoch kann vorläufig weiter, und zwar ohne Sicherheitsleistung, vollstreckt werden.
I. Zulässigkeit
1. Voraussetzungen
Rz. 63
Ein Mahnverfahren ist zulässig, wenn die Zahlung einer bestimmten Geldsumme in EUR verlangt wird, § 688 Abs. 1 ZPO. Diese Geldforderung darf nicht von einer Gegenleistung abhängig sein oder die Gegenleistung muss bereits erbracht worden sein.
Rz. 64
Durch entsprechende Bezeichnungen können auch Urkunden-, Wechsel- und Scheckmahnverfahren eingeleitet werden, § 703a ZPO. Diese haben den Vorteil, dass die Angelegenheiten bei einem Widerspruch des Anspruchsgegners und dem Übergang in das streitige Verfahren als besondere Gerichtsverfahren geführt werden können und entsprechende prozessuale Vorteile haben. Dazu gehört speziell, dass nur bestimmte Beweismittel zugelassen werden und deshalb schnell ein Urteil ergeht.
2. Besondere Zuständigkeiten
Rz. 65
Bei Ansprüchen aus einem Arbeitsverhältnis sind die Arbeitsgerichte zuständig, § 46a Abs. 2 ArbGG.
Rz. 66
Werden Zahlungsansprüche nach dem Wohnungseigentumsgesetz geltend gemacht, richtet sich die örtlich ausschließliche Zuständigkeit nach der Lage des Wohnungseigentums, § 43 Abs. 1 S. 1 WEG i.V.m. § 689 Abs. 2 S. 1 ZPO.
Rz. 67
Bei Antragsgegnern, welche keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben, ist das Mahngericht zuständig, in dessen Bezirk auch das streitige Verfahren vor dem Prozessgericht zu führen wäre, § 703d ZPO.
3. Grenzüberschreitender Rechtsverkehr
Rz. 68
Im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr (wenigstens eine der Parteien muss ihren Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat der EU haben) kann bei fälligen Geldforderungen der Antrag auf Erlass eines Europäischen Mahnbescheids gestellt werden. Das gilt jedoch nicht für Dänemark. Die Schweiz ist trotz Luganer Übereinkommen nicht beteiligt. Allerdings findet gegen einen Verbraucher mit Wohnsitz in einem anderen EU-Staat kein grenzüberschreitendes Mahnverfahren statt, Art. 6 Abs. 2 EuMahnVO, dann ist vielmehr ausschließlich das zuständige Gericht des Wohnsitzstaats des Verbrauchers maßgebend.
Der Europäische Mahnbescheid ermöglicht Gläubigern, europaweit mit einheitlichen Formularen (anwenderfreundlich durch Ankreuzfelder) eine Forderung titulieren zu lassen. Formulare sind über das Internet abrufbar. Die Einreichung des Antrags soll gemäß § 1088 ZPO, Art. 7 EuMahnVO in Papierform erfolgen oder durch andere – auch elektronische – Kommunikationsmittel, die im Ursprungsmitgliedstaat zulässig sind und dem Ursprungsgericht zur Verfügung stehen. Derzeit gibt es noch keine maschinelle Bearbeitung, § 1088 Abs. 2 ZPO. Elektronische Anträge können aber über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gestellt werden. In Anlehnung an §§ 690 Abs. 3, 130a Abs. 1 ZPO ist keine bestimmte maschinell lesbare Form vorgeschrieben. Entscheidend sind die technischen Gegebenheiten beim zuständigen Amtsgericht Wedding.
Rz. 69
Die im Antrag erforderlichen Angaben, deren Richtigkeit zu versichern ist, gehen über eine bloße Individualisierung hinaus, Art. 7 Abs. 2b-e, Abs. 3 EuMahnVO. Ist der Antrag nicht offensichtlich unbegründet, erlässt das Gericht den Europäischen Zahlungsbefehl und stellt ihn dem Antragsgegner zu, Art. 8 S. 1 EuMahnVO. Die Einspruchsfrist gegen den Europäischen Mahnbescheid beträgt 30 Tage ab seiner Zustellung, § 16 Abs. 2 EuMahnVO. Legt der Schuldner Einspruch ein, findet ein gewöhnlicher Zivilprozess statt, §§ 1090, 1091 ZPO. Wird kein Einspruch eingelegt, wird der Europäische Zahlungsbefehl für vollstreckbar erklärt, Art. 18 EuMahnVO, § 1093 ZPO. Er entspricht dem deutschen Vollstreckungsbescheid und ist ohne weitere Formalitäten in den Mitgliedstaaten vollstreckbar. Für die Zwangsvollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat ist auch keine Umschreibung erforderlich.
Rz. 70
Für die Bearbeitung der Anträge auf Erlass und Überprüfung eines Europäischen Mahnbescheids sowie für die Vollstreckbarerklärung eines Europäischen Zahlungsbefehls ist in der Bundesrepublik Deutschland das Amtsgericht Wedding in Berlin ausschließlich zuständig, soweit es nicht um arbeitsrechtliche Ansprüche geht, § 1087 ZPO. Zuständig ist das Arbeitsgericht, welches für die im Urteilsverfahren erhobene Klage zu...