Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 303
Ein Versicherungsnehmer, der den Versicherer aus einem behaupteten Kfz-Diebstahl in Anspruch nehmen will, ist regelmäßig in Beweisnot. Wie soll er nachweisen, dass ihm sein Fahrzeug gestohlen worden ist? Da es aber nicht richtig sein kann, dass die Diebstahlsversicherung schon immer dann nicht einzutreten hat, wenn sich der Diebstahl nicht aufklären lässt, werden dem Versicherten Beweiserleichterungen gewährt. Im Ergebnis wendet die Rechtsprechung eine Zwei-Stufen-Theorie an. Der Versicherungsnehmer genügt seiner Beweislast auf erster Stufe schon dann, wenn er das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung beweist, also ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf eine Wegnahme gegen den Willen des Versicherungsnehmers zulassen. Den Gegenbeweis hat der Versicherer sodann auf zweiter Stufe zu erbringen. Ihm kommen insoweit ebenfalls Beweiserleichterungen zugute: Er muss "lediglich" Umstände darlegen und beweisen, aus denen sich mit erheblicher Wahrscheinlichkeit eine Vortäuschung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer ergibt.
Rz. 304
Das äußere Bild eines Kfz-Diebstahls ist gegeben, wenn feststeht, dass der Versicherungsnehmer das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt und dort nicht wieder vorgefunden hat. Für diese Umstände muss der Versicherungsnehmer den Vollbeweis nach § 286 ZPO erbringen.
BGH VersR 2000, 1535, 1536:
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Ist dieser Beweis – wie hier – durch Zeugen geführt, so hat der Versicherungsnehmer den ihm obliegenden Beweis einer bedingungsgemäßen Entwendung erbracht. Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit sind dann erst bei der Frage von Bedeutung, ob der Versicherer Tatsachen bewiesen hat, die die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Diebstahls nahelegen.
Auch dem ansonsten unglaubwürdigen Versicherungsnehmer kommen dann die von der Rechtsprechung entwickelten Beweiserleichterungen zugute.
BGH NJW 1995, 2169:
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Zum äußeren Bild eines Kfz-Diebstahls gehört nicht, dass der Versicherungsnehmer sämtliche Originalschlüssel vorlegen oder das Fehlen eines Schlüssels plausibel erklären kann. Fehlt ein Originalschlüssel und kann der Versicherungsnehmer dafür keine plausible Erklärung abgeben, kann dies – wenn weitere Verdachtsmomente vorliegen – für die Beurteilung bedeutsam sein, ob ein Diebstahl mit erheblicher Wahrscheinlichkeit vorgetäuscht ist.
Die Anforderungen, die an den Nachweis eines "äußeren Bildes" eines Kfz-Diebstahls gestellt werden, werden von der Rspr. aber zunehmend angezogen.
Z.B. OLG Düsseldorf r+s 2001, 12:
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Wenn der Versicherungsnehmer durch das Zeugnis seiner Mutter unter Beweis gestellt hat, dass er das versicherte Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt hat und dass er die Zeugin am nächsten Morgen kurze Zeit nach dem Verlassen der Wohnung über das Abhandenkommen des Fahrzeugs verständigt hat, und wenn sich die Mutter dann selbst vergewissert hat, dass das Fahrzeug nicht mehr an dem vorherigen Abstellort vorhanden war, reicht dies zum Nachweis des äußeren Bildes einer bedingungsgemäßen Entwendung nicht aus, da die Zeugin das Nichtwiederauffinden des Fahrzeugs nicht beobachtet hat.
BGH NJW 2011, 1364:
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Durch Anhörung des Versicherungsnehmers nach § 141 ZPO darf die Überzeugung vom Vorliegen des äußeren Bildes einer bedingungsgemäßen Entwendung nur dann gewonnen werden, wenn dem Versicherungsnehmer ein Zeuge nicht zur Verfügung steht. Ist ein Zeuge für das Abstellen und spätere Nichtwiederauffinden des Fahrzeugs angeboten worden, so kann sich der Tatrichter nicht auf eine Anhörung des Versicherungsnehmers beschränken.
Zu den Anforderungen an die Substantiierungslast vgl. § 2 Rdn 95 ff.
Rz. 305
Hat der Versicherungsnehmer auf erster Stufe das äußere Bild eines Diebstahls dargelegt, muss der Versicherer auf der zweiten Stufe Umstände darlegen und beweisen, aus denen sich mit erheblicher Wahrscheinlichkeit eine Vortäuschung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer ergibt. Solche Tatsachen können beispielsweise das Fehlen von Aufbruchspuren, Vorverurteilungen des Versicherungsnehmers wegen Versicherungsbetrugs, unrichtige Angaben über die Zahl der Fahrzeugschlüssel, Kopierspuren am Fahrzeugschlüssel etc. sein. Die Wahrscheinlichkeitsgrade sind abgestuft: Erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung stellt höhere Ansprüche an den Beweis des Versicherers als hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Versicherungsfalls. Gelingt dem Versicherer der Gegenbeweis, hat allerdings der Versicherungsnehmer den Vollbeweis zu erbringen, was regelmäßig nicht gelingt.