Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 87
Geht es um den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen (wie z.B. einer Kündigung) ist nicht auf die Person des Erklärenden, sondern allein auf den Zugang beim Empfänger abzustellen. Nach der herrschenden (allerdings nicht unumstrittenen) Meinung kann von der ordnungsmäßigen Absendung eines einfachen Briefs oder eines Telefaxes nicht auf den Zugang geschlossen werden.
Im Ergebnis beizupflichten ist dem OLG Naumburg für einen besonders gelagerten Fall:
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Die Gefahr des Verlustes einer gewöhnlichen Briefsendung bei der Deutschen Post AG ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung als gering einzuschätzen. Die Rechtsprechung vertritt zwar die Auffassung, dass die Aufgabe eines Schreibens zur Post noch nicht den Beweis des ersten Anscheins mit der entsprechenden Darlegungslasterleichterung für den Zugang begründet. Der Senat lässt es offen, welche Anforderungen an den Beklagten gestellt werden, wenn es sich nur um ein Schreiben handelt. Hier behauptet der Beklagte aber, dass die vier Schreiben, die mit der gewöhnlichen Post versandt worden sind, mit dem Transport verlorengingen, wohingegen die zwei förmlich zuzustellenden Schreiben zugegangen sind. Aufgrund der Unwahrscheinlichkeit des Vortrags und der Darlegungslastverteilung obliegt es dem Beklagten, wenigstens einen Sachverhalt darzustellen, der eine gewisse Plausibilität für den Verlust der vier Schreiben ermöglicht.
(OLG Oldenburg geht von der Verpflichtung des Notars aus, eine Grundschuld mit einem Einschreibebrief zu versenden, um den Nachweis zu erleichtern, dass der Brief angekommen oder auch nicht angekommen ist.)
Für den Wettbewerbsprozess geht die Rspr. der Instanzgerichte allerdings von einem Anscheinsbeweis für den Zugang des Abmahnschreibens aus.
OLG Braunschweig NJW 2005, 372:
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Die Wirksamkeit der Abmahnung setzt nicht den Nachweis des Zugangs beim Adressaten (Verletzer) voraus, da ein effektiver Rechtsschutz bei Wettbewerbsverstößen nur bei einem schnellen Vorgehen des Verletzten zu erreichen ist.
An dieser Beurteilung ändert auch die Möglichkeit nichts, die Abmahnung per Einwurfeinschreiben zu versenden, da aufgrund der postinternen Verarbeitung nicht sichergestellt ist, dass der Absender (Verletzter) den Beleg für den Zugang seines Abmahnschreibens innerhalb der häufig sehr kurzen Fristen erhält.
Der BGH hat diese Rechtsprechung relativiert und darauf hingewiesen, dass die Frage des Nachweises des Zugangs eines Abmahnschreibens im Rahmen der Beantwortung der Frage, ob der Beklagte Anlass zur Klageerhebung gegeben hat (§ 93 ZPO), nach allgemeinen Regeln vom Beklagten zu beweisen ist, BGH GRUR 2007, 629, 630:
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Im Rahmen dieser Kontroverse wird teilweise dem prozessrechtlichen Kontext nicht hinreichend Rechnung getragen, in dem sich die Frage der Beweislast stellt. Denn die maßgebliche Frage lautet nicht, wer für den Zugang der Abmahnung die Beweislast trägt; sie lautet vielmehr, wer darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat, ob der Bekl. im Falle eines sofortigen Anerkenntnisses Anlass zur Klage gegeben hat (§ 93 ZPO). Dass dies nicht der Kl., sondern allein der Bekl. ist, ist im Prozessrecht allgemein anerkannt.
Bei der Ausgestaltung der danach den Bekl. treffenden Darlegungs- und Beweislast ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich bei dem vom Bekl. darzulegenden und zu beweisenden Umstand um eine negative Tatsache handelt (hier: kein Zugang des Abmahnschreibens des Kl. vom 25. 2. 2005). Dies führt indes nicht zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, sondern allenfalls zu einer sekundären Darlegungslast des Kl. Der Bekl. kann sich zunächst auf die schlichte Behauptung der negativen Tatsache – das Abmahnschreiben sei ihm nicht zugegangen – beschränken. Nach dem auch im Prozessrecht gültigen Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist der Kl. ausnahmsweise verpflichtet, dem einfachen Bestreiten mit eigenem qualifizierten Vortrag entgegenzutreten. Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass der Kl. die für einen substanziierten Vortrag notwendigen Informationen im Allgemeinen besitzt oder sich diese jedenfalls leichter beschaffen kann als die darlegungspflichtige Partei. Im Anschluss daran muss jedoch die darlegungspflichtige Partei ihren Vortrag konkretisieren und detailliert – gegebenenfalls unter Beweisantritt – auf das Bestreiten der Gegenpartei eingehen. Auf den Zugang des Abmahnschreibens bezogen bedeutet dies, dass der Kl. gehalten ist, die genauen Umstände der Absendung vorzutragen und gegebenenfalls unter Beweis zu stellen. Eine weitergehende Verpflichtung des Kl. – etwa dahingehend, dass er besondere Versendungsformen zu wählen habe, die einen Nachweis des Zugangs ermöglichten – kann aufgrund der sekundären Darlegungslast dagegen nicht begründet werden.
Damit wird dem Bekl. keine unzumutbare Belastung aufgebürdet. Er hat die Möglichkeit, die Tatsache, aus der sich ergibt, dass er keinen Anlass zur Klage gegeben hat – etwa den Umstand, dass ihm kein Abmahnschreiben des Kl. zugegange...