Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 244
Will der Versicherungsnehmer Leistung vom Versicherer verlangen, weil ein Versicherungsfall eingetreten sei, hat er die Voraussetzungen für seinen Anspruch, d.h. den Versicherungsfall, darzulegen und zu beweisen. Beruft sich der Versicherer auf Ausschlusstatbestände, trägt er für deren Vorliegen die Darlegungs- und Beweislast – nach den Grundsätzen des Zivilprozessrechts: Jede Partei hat die für sie günstige Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen.
Gemäß § 81 Abs. 1 VVG haftet der Versicherer nicht, wenn dem Versicherungsnehmer Vorsatz zur Last fällt. Führt der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbei, ist der Versicherer gemäß § 81 Abs. 2 VVG berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Für den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit verlangt die Rspr. auch in subjektiver Hinsicht ein erheblich gesteigertes Verschulden.
Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen, die zu einer Leistungsfreiheit wegen Vorsatzes oder groben Verschuldens führen, trifft den Versicherer, und zwar auch hinsichtlich des Nachweises der subjektiven Seite der groben Fahrlässigkeit. Macht der Versicherungsnehmer geltend, dass es auch bei einem nicht grob fahrlässigen Verhalten zum Schadenseintritt gekommen wäre, trifft ihn für diese Behauptung die Beweislast.
Ein Beispiel für eine 100-Prozent-Kürzung nach OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 185:
Zitat
Verursacht ein Fahrer im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit (hier: 1,29 Promille) einen Unfall, dann ist der Versicherer regelmäßig berechtigt, auch bei Annahme der groben Fahrlässigkeit gem. § 81 II VVG, die Versicherungsleistung um 100 % zu kürzen.
Vgl. auch OLG Köln zfs 2000, 545:
Zitat
Verliert ein Versicherungsnehmer während einer Autobahnfahrt bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h im Zusammenhang mit dem Versuch, mit einem Handy ohne Freisprecheinrichtung zu telefonieren, die Gewalt über seinen Wagen, so hat er einen darauf folgenden Unfall grob fahrlässig verursacht.
Rz. 245
Besondere praktische Bedeutung hat der Einwand des sogenannten Augenblicksversagens. Nach BGH ist ein Augenblicksversagen allein noch kein Grund, den Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit gegeben sind. Es müssen noch weitere subjektive Umstände hinzukommen, die es rechtfertigen, im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände den Schuldvorwurf geringer als grob fahrlässig erscheinen zu lassen; also in der Person des Handelnden liegende Umstände, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen. Solche Umstände muss der Anspruchsteller vortragen und im Bestreitensfalle beweisen. Er muss also entlastende Umstände vortragen, warum – z.B. – ihm der schadenstiftende Rotlichtverstoß unterlaufen ist, oder wie es passieren konnte, dass er die Weihnachtskerzen längere Zeit unbeaufsichtigt hat brennen lassen.
Beruht ein Unfall auf einem Rotlichtverstoß, ist dies kein grundsätzliches Indiz für das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit.