Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 212
Unter Augenschein ist jede eigene und gegenständliche Wahrnehmung des Gerichts zu beweiserheblichen und streitigen Tatsachen über die Beschaffenheit von Sachen und Personen sowie sonstigen Vorgängen zu verstehen. Als Gegenstand des Augenscheins bezeichnet das Gericht auch elektronische Dokumente (§ 371 Abs. 1 S. 2 ZPO).
Im Vergleich zu den anderen Beweismitteln ist die Frage des Beweisverwertungsverbots insbesondere bei der Erhebung eines Anscheinsbeweises praxisrelevant, wenn es um die Verwertung von Videos, Tonbändern oder anderen elektronischen Daten geht.
Greger widerspricht insbesondere einem Verwertungsverbot von Video-Aufnahmen sog. On-board-Kameras bei Verkehrsunfällen und sieht dieses Beweismittel als zulässig an. Er argumentiert, dass das Datenschutzinteresse hinter das Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege treten müsse, da eine Persönlichkeitsverletzung des Gegners mangels Zur-Schau-Stellen nicht zu erwarten sei. Von der Beweisverwertung unabhängig sei die noch nicht abschließend geklärte Frage zu beantworten, inwiefern das Installieren einer entsprechenden Kamera mit dem Datenschutzrecht vereinbar ist.
Mittlerweile hat der BGH mit Urt. v. 15.5.2018 zur Verwendbarkeit von Dashcam- bzw. On-board-Aufnahmen als Beweismittel in einem Unfallhaftpflichtprozess die Frage bejaht, ob die Verwertung von so genannten Dashcam-Aufzeichnungen, die ein Unfallbeteiligter vom Unfallgeschehen gefertigt hat, als Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess zulässig ist, obwohl ein Verstoß gegen das BDSG vorliegt. Der BGH setzt damit seine Rechtsprechung dazu fort, dass rechtswidrig geschaffene oder erlangte Beweismittel im Zivilprozess nicht schlechthin unverwertbar sind. Über die Frage der Verwertbarkeit muss vielmehr aufgrund einer Interessen- und Güterabwägung nach den im Einzelfall gegebenen Umständen entschieden werden.
BGH NJW 2018, 2883 ff.:
Zitat
Die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens ist mit den datenschutzrechtlichen Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes nicht vereinbar.
Die Verwertung von so genannten Dashcam-Aufzeichnungen, die ein Unfallbeteiligter vom Unfallgeschehen gefertigt hat, als Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess ist dennoch zulässig.
Dazu auch OLG Nürnberg NJW 2017, 3598:
Zitat
Aufzeichnungen einer im Frontbereich des Fahrzeugs installierten Dashcam über einen Auffahrunfall können verwertbar sein, wenn die persönlichen Daten einer Partei allein in Bezug auf ihr konkretes Fahrverhalten auf einer öffentlichen Autobahn in einem Zeitraum von weniger als einer Minute festgehalten wird, die Partei, ebenso wie unbeteiligte Dritte, als Person nicht erkennbar ist, der anderen Partei keine sonstigen Beweismittel zur Verfügung stehen und ohne Berücksichtigung der Dashcam-Aufzeichnung eine der materiellen Gerechtigkeit widersprechende, falsche Entscheidung getroffen werden müsste.
Nach Auffassung des OLG Saarbrücken gelten die vorstehenden Überlegungen auch unter Geltung der DSGVO fort, r+s 2023, 461, 462:
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Diese Grundsätze gelten nach der Auffassung des Senats auch nach Inkrafttreten der DSGVO fort, so dass solche Aufzeichnungen weiterhin nach diesem Maßstab verwertbar sind (so auch Schmidt in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kapitel 36 Rn 5).
Das AG Geilenkirchen hat allerdings permanent anlasslose Aufzeichnung einer an einem Haus installierten Videokamera für unverwertbar erklärt, BeckRS 2023, 19474:
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Beruht die Videoaufnahme eines möglichen Verkehrsunfalls auf einer permanenten anlasslosen Aufzeichnung einer an einem Haus installierten Videokamera, ist die Aufnahme mangels Erforderlichkeit gem. § 4 Abs. 1 BDSG unzulässig und als Beweismittel in einem Schadensersatzprozess nicht verwertbar.
Die Entscheidung des AG Geilenkirchen ist problematisch, weil sie sich nicht mit den vom BGH entwickelten Abwägungskriterien befasst und vom Verstoß gegen § 4 Abs. 1 BDSG unmittelbar auf ein Beweisverwertungsverbot schließt.
Im Fall einer in Privaträumen installierten Kamera hat das OLG Köln NZM 2005, 758 allerdings ein Verwertungsverbot angenommen, da die Kamera heimlich installiert worden war und zu berücksichtigen ist, dass die Videoaufzeichnung in Privaträumen gefertigt worden ist:
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Bei der Verwertung heimlicher Videoaufzeichnungen zu Beweiszwecken (hier: Beschädigungen an Waschmaschinen) ist grundsätzlich eine Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Beobachteten und den Interessen des Beobachtenden vorzunehmen.
Eine dauernde, schrankenlose heimliche Videoüberwachung einer Waschküche aufgrund früherer Beschädigungen ist grundsätzlich unzulässig, wenn keine weiteren Besonderheiten hinzutreten. Insbesondere ist abzuwägen, ob nicht eine offene Videoüberwachung den gleichen Zweck erfüllte.
Für das Arbeitsrecht bzw. einen Kündigungsschutzprozess ist nunmehr eine Entscheidung des BAG vom 29.6.2023 zu berücksichtigen, BAG ZD 2023, 693:
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In einem Kündigungsschutzprozess besteht nach Maßgabe der DS-GVO