Rz. 67
Seit Langem ist in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, dass die Adäquanztheorie allein nicht zu einer sachgerechten Eingrenzung der Haftung für schadensursächliches Verhalten führt. Demjenigen, der eine ursächliche Bedingung gesetzt hat, darf der Schaden nur zugerechnet werden, wenn dieser sich innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm verwirklicht. Es muss ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem eingetretenen Schaden bestehen; eine lediglich zufällige Verbindung genügt nicht. Diese ursprünglich im Deliktsrecht entwickelte Wertung wurde auf das Vertragsrecht übertragen. Die Haftung des Schuldners ist dort durch den Schutzzweck der verletzten vertraglichen Pflicht begrenzt.
Rz. 68
Für die Anwaltshaftung heißt dies, dass der Berater nur für solche Nachteile einzustehen hat, zu deren Abwendung er die aus dem Mandat folgenden Pflichten übernommen hat. Im Regelfall obliegt dem Berater nur die Wahrung der vermögensrechtlichen Interessen des Auftraggebers. In diesen Fällen begründen daher Beratungsfehler, die Gesundheitsschäden des Mandanten verursacht haben, keinen Schmerzensgeldanspruch nach § 253 Abs. 2 BGB. Dagegen kann im Bereich der Strafverteidigung das Rechtsgut der Freiheit in den Schutzzweck der verletzten Pflicht fallen, etwa dann, wenn ein Verteidiger den aussichtsreichen Antrag auf Verlegung des Termins zur Hauptverhandlung unterlässt und der Angeklagte nach Ausbleiben im Termin in Untersuchungshaft genommen wird, oder wenn dem Mandanten infolge eines Anwaltsfehlers die Haftverschonung versagt wird. Auch bei Mandaten, die Unterbringungsmaßnahmen betreffen, sowie bei Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht kommt ein die Freiheit betreffender Schutzbereich in Betracht.
Rz. 69
Grds. sind Interessen des Vertragsgegners des Mandanten nicht in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages einbezogen; denn dies wäre mit der Gegenläufigkeit der Interessen von Auftraggeber und anderem Teil nicht vereinbar.
Rz. 70
Die Pflicht des Anwalts zur frist- und formgerechten Begründung eines weisungsgemäß eingelegten Rechtsmittels soll die Partei nur vor einem ungerechtfertigten Misserfolg ihres Begehrens schützen, nicht indes vor dem beschleunigten Verlust des Prozesses, der von Rechts wegen ohnehin hätte eintreten müssen. Ist der Mandant infolge eines Anwaltsfehlers einen Vertrag eingegangen, der ihm eine ungesicherte Vorleistung aufbürdet, so kann er nicht Ersatz für die Nachteile fordern, die ihm deshalb entstanden sind, weil er später diese Vorleistung verweigert hat; vom Schutzzweck der Pflicht umfasst ist lediglich der Schaden, der durch Erfüllung der ungünstigen Vorleistungspflicht entstanden ist. Schließt der Mandant infolge eines Beratungsfehlers einen ihm ungünstigen Vergleich, kann der ihm entstandene Schadensersatzanspruch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der verletzten Pflicht auf die Differenz zu dem Ergebnis begrenzt werden, das er – nicht aber der Gegner – akzeptiert hätte.
Rz. 71
Wer einem Anlageinteressenten eine umfassende Beratung oder Aufklärung schuldet, haftet grds. für alle auf einer Verletzung seiner Pflichten beruhenden Schäden; beschränkt sich die Beratungs- oder Aufklärungspflicht dagegen auf einen bestimmten, für das Vorhaben bedeutsamen Einzelpunkt, so hat der Berater bei Verletzung seiner Pflicht nur für Schäden einzustehen, die in diesem Punkt eintreten. Hat der Berater allein die steuerlichen Folgen einer vom Mandanten erwogenen gesellschaftsrechtlichen Beteiligung zu erläutern, so haftet er bei einem Fehler nur für die im steuerlichen Bereich eingetretenen Nachteile, nicht dagegen für den ausgebliebenen Unternehmenserfolg, der auf anderen Faktoren beruht. Dagegen haftet der Steuerberater auch für einen durch schuldhaft fehlerhafte Beratung verursachten Verzögerungsschaden, sofern die Vermeidung eines entsprechenden Nachteils zum Inhalt der übernommenen Vertragspflichten gehörte.
Rz. 72
Der Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm wird auch in den Fällen bedeutsam, in denen der Schaden sowohl auf einer Pflichtverletzung des Anwalts als auch einem gerichtlichen Fehler beruht (vgl. Rdn 54 f.). Dort lässt sich der Haftungsrahmen nicht ohne die Beachtung von Zweck und Ziel der übernommenen Pflichten sachgerecht bestimmen.