Rz. 111
Diese wertende Betrachtungsweise lässt sich auf den Ausgang von Verwaltungsverfahren insoweit übertragen, als sie rechtlich gebunden waren, bei gesetzmäßiger Durchführung also nur zu einem einzigen Ergebnis hätten gelangen können. In diesen Fällen ist ebenfalls allein darauf abzustellen, wie die Behördenentscheidung richtigerweise hätte lauten müssen. Dies gilt sowohl für Rechtsfragen als auch für Tatsachenfeststellungen.
Rz. 112
Stand der Behörde dagegen ein Ermessensspielraum zu, waren also von Rechts wegen inhaltlich verschiedene Ergebnisse möglich, muss der Regressrichter klären, welche Entscheidung die Behörde tatsächlich getroffen hätte; denn er darf nicht sein Ermessen an die Stelle der dafür zuständigen Behörde setzen. War das Ermessen der Behörde dagegen so eingeschränkt war, dass nur eine einzige Entscheidung in Betracht kam, ist diese auch im Regressprozess zugrunde zu legen. Eine solche Ermessensreduzierung auf Null kann sich aufgrund einer allgemeinen Verwaltungsübung oder aus einer ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift ergeben.
Rz. 113
Hat der Schadensersatzrichter festzustellen, welche Ermessensentscheidung die Behörde bei vertragsgerechter Leistung des Anwalts tatsächlich getroffen hätte, und gelangt er zu dem Ergebnis, dass sie dem Mandanten günstig gewesen wäre, kann das nach den Regeln des normativen Schadensbegriffs einen Ersatzanspruch grds. nur unter der Voraussetzung begründen, dass sich die Behördenentscheidung im Rahmen von Recht und Gesetz gehalten hätte. Jedoch ist nach Ansicht des BGH ein Mandant, der sich an einer allseits für rechtmäßig gehaltenen Verwaltungspraxis orientiert, genauso schutzwürdig wie derjenige, der sich auf eine feste, später jedoch aufgegebene Rechtsprechung stützen kann. Daher sei bei Prüfung der Frage, ob ein Schaden entstanden sei, auf die im maßgeblichen Zeitpunkt ständige Verwaltungspraxis auch dann abzustellen, wenn sich diese später als rechtswidrig erweise, der Mandant aber auf deren Rechtmäßigkeit habe vertrauen dürfen.
Rz. 114
Diese Ausnahme von der Regel wurde in folgenden drei Entscheidungen bedeutsam:
Rz. 115
In der ersten Entscheidung ging es, übertragen auf das Anwaltshaftungsrecht, um Folgendes:
Der Berater hat die Bearbeitung eines Antrags auf Befreiung von der Grunderwerbsteuer verzögert. Infolge einer zwischenzeitlichen Änderung der Richtlinien hat der Mandant – im Gegensatz zu den früheren Gesuchstellern – die Befreiung nicht mehr erhalten. Die Änderung der Richtlinie beruhte darauf, dass zwischenzeitlich ein höchstrichterliches Urteil ergangen war, welches die bisherige Praxis der Steuerbefreiung als rechtswidrig beanstandete. Bei gesetzmäßigem Verfahren der Behörde hätte keinem Antragsteller Steuerbefreiung gewährt werden dürfen.
Trotzdem hat der BGH der Schadensersatzklage stattgegeben, weil der Kläger bei rechtzeitigem Antrag die Steuerbefreiung erhalten hätte und der durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt Begünstigte eine rechtlich geschützte Position erlange, deren Verlust als Schaden anzusehen sei. Ein schutzwürdiger Besitzstand kann jedoch nicht durch eine fiktive Entscheidung begründet werden, die gerade mit diesem Inhalt nicht hätte ergehen dürfen. Wäre die hier gewählte Argumentation richtig, müsste bei Gerichtsentscheidungen im Ausgangsverfahren ebenfalls darauf abgestellt werden, wie der Prozess tatsächlich ausgegangen wäre; denn das fiktive – materiell falsche – Urteil hätte infolge der Rechtskraft erst recht eine geschützte Rechtsposition begründet. Das aber lehnt der BGH in ständiger Rechtsprechung zu Recht ab, weil ein solches Ergebnis mit dem normativen Schadensbegriff nicht vereinbar wäre. Daher ist es inkonsequent, bei einer falschen Verwaltungsentscheidung von dieser Linie abzuweichen. Das genannte Urteil beruht infolgedessen auf einer unzutreffenden rechtlichen Wertung und ist abzulehnen.
Rz. 116
Den Ausgangspunkt für die zweite Entscheidung bildete folgender Fall:
Der Behörde war ein Ermessen hinsichtlich der Gewährung bestimmter Steuervorteile an Betriebe im Zonenrandgebiet eingeräumt worden. Insoweit hatte sich in Bayern – entgegen den bundeseinheitlichen Richtlinien – zugunsten der Steuerpflichtigen eine ständige rechtswidrige Verwaltungspraxis gebildet. Dem Mandanten ist der Vorteil entgangen, weil der Berater versäumt hat, ihn auf diese Praxis hinzuweisen.
Auch hier hat der BGH den geltend gemachten Nachteil als ersatzfähigen Schaden angesehen. Es widerspreche nicht grds. der Rechtsordnung, wenn der Auftraggeber Ersatz dafür verlange, dass er sich die Behördenpraxis nicht habe zunutze machen können. Zwar müsse die Verwaltung jeden neuen Einzelfall zum Anlass nehmen, von der gesetzwidrigen Verfahrensweise abzurücken und zur Rechtmäßigkeit zurückzukehren. Sei jedoch eine grundsätzliche Änderung der Verwaltungsübung nicht gewährleistet, weil die Behörde nicht generell änderungswillig sei, so habe sich die Verwaltung in einer Weise gebunden, welche das Vertrauen des E...