Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 48
Der Vermächtnisanspruch ist nicht zwingend ein Anspruch auf Geld, und es besteht auch nicht zwingend ein Anspruch auf Monetarisierung. Wohnungsrechtsvermächtnisse z.B. begründen ein Recht auf Erfüllung und Besitz. Deshalb kann auf die Frage, was ein vor dem Antragszeitraum angefallenes, aber erst im Leistungszeitraum erfülltes Vermächtnis im SGB II ist, nämlich Einkommen oder Vermögen, keine einheitliche Antwort gefunden werden.
Rz. 49
Die Forderung des Vermächtnisnehmers gegen den Beschwerten entsteht mit dem Erbfall, kann aber in seiner Fälligkeit aufgrund Erblasseranordnung hinausgeschoben sein (§ 2181 BGB). Der Vermächtnisanspruch ist als Forderung ganz allgemein ein geldwerter Anspruch und damit durch die Ausschlussdefinition des § 11 SGB II n.F. eine Einnahme in Geldeswert, die dem Vermögen zuzuordnen ist. Das eint alle Vermächtnisansprüche.
Vermächtnisansprüche treten jedoch in den unterschiedlichsten Formen auf:
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Geldvermächtnisse/Wertpapierdepot |
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Vermächtnis in Bezug auf einen Gegenstand/Grundstücksvermächtnis |
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Nießbrauchs-/Wohnungsrechtsvermächtnis |
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Rentenvermächtnis etc. |
Rz. 50
Der Anspruch auf Erfüllung des Vermächtnisses ist demnach im Einzelfall auf die Zahlung in Geld gerichtet, in vielen anderen Fällen aber auf Herausgabe von Sachen, Ermöglichung von Nutzungen etc. Ein Vermächtnis kann auch so ausgestaltet sein, dass durch ein Auswahlrecht eines Dritten das "Ob" und "Wie" eines Vermächtnisses ausgestaltet werden kann, so dass schon die Realisation nach begünstigter Person variieren kann. Schließlich ist ein Vermächtnisanspruch keine "in Stein gemeißelte" Größe, sondern diverse Einreden und Einwendungen können den Vermächtnisanspruch beeinflussen bis hin zur Abwendung der Herausgabe des vermachten Gegenstandes durch Zahlung des Wertes bei Überschuldung (§ 1992 S. 2 BGB). Der an sich vermachte Gegenstand kann so zu einem Geldzahlungsanspruch werden. Das bedeutet, dass es bei Erfüllung eines Vermächtnisanspruches im Leistungszeitraum zu Zuflüssen in Geld genauso wie zu Zuflüssen in Geldeswert kommen kann.
Rz. 51
Stellvertretend für viele beurteilt Geiger die Qualifizierung eines Vermächtnisanspruches wie folgt:
Zitat
"Wird das Vermächtnis wegen seiner Verwertbarkeit in absehbarer Zeit nicht bereits als Vermögen angerechnet, sind im laufenden Leistungsbezug erfüllte Geldzuflüsse aus Vermächtnis Einkommen. Wird eine Sache oder eine geldwerte Forderung als Gegenstand des Vermächtnisses ausgekehrt, ist dies ein Vermögenszufluss. Die Umwandlung der Sache oder geldwerten Forderung in Geld ist versilbertes Vermögen."
Rz. 52
Falllösung Fallbeispiel 55 – Alternative 3:
Das Beispiel des Vermächtnisanspruches zeigt auf, dass es für die von der Rechtsprechung geschaffenen Grundsätze der "Forderungsrechtsprechung", so wie sie bisher auf Forderungen wie Pflichtteilsansprüche, (Geld-)Vermächtnisse, Auseinandersetzungsansprüche und sonstige Ansprüche aus Erbfall gegen den Erben angewendet wurden, keine nachvollziehbare Rechtfertigung gibt. Die Alternative 3 ist nicht lösbar, ohne die Art des Vermächtnisanspruches aufzuklären. Dafür gibt es keinen Rechtfertigungsgrund. Ansprüche aus Erbfall vor dem Antragszeitraum gleich welcher Art sind "mitgebrachte" Ansprüche, so wie "mitgebrachtes" Geld im Portemonnaie oder Schließfach. Die Monetarisierung solcher erbrechtlichen Forderungen ist grundsätzlich "Versilberung" schon angefallenen Vermögens und sollte nach der Zielsetzung des Gesetzes auch nur so behandelt werden. Dann wäre man mit der Zuflussrechtsprechung des BSG ausgekommen. Heute muss man m.E. die gesetzgeberische Entscheidung, Einnahmen in Geldeswert als Vermögen zu behandeln, akzeptieren.
Rz. 53
Ergebnis
Einnahmen in Geldeswert sind im SGB II – anders als im SGB XII – unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung Vermögen. Zu den Einnahmen in Geldeswert gehören Forderungen, wie z.B. Ansprüche aus Erbauseinandersetzungen, Pflichtteils- und Vermächtnisansprüche, Abfindungen. Ihre Behandlung ab dem 1.8.2016 wird aber unterschiedlich beurteilt, obwohl der Gesetzgeber ihnen Vermögenscharakter zuerkannt hat.
Insbesondere bei kleineren Zuflüssen aus Forderungen macht es einen erheblichen Unterschied, ob sie ohne weitergehenden Schutz nach § 11 Abs. 3 SGB II für sechs Monate auf den Bedarf verrechnet und damit "verbraucht" werden, oder ob sie mit der Chance auf Schonvermögen nach § 12 SGB II nur mit dem überschießenden Betrag angerechnet werden und den Leistungsanspruch wegfallen lassen. Allerdings ist immer ins Kalkül zu ziehen, dass bei Wegfall des Leistungsanspruches auch der Anspruch auf die gesetzliche Kranken- und Pflegversicherung wegfällt. Der Streit um die richtige Anrechnungsart kann also lohnen.