Rz. 400
Auch grob fahrlässige Unkenntnis von Schaden und Schädiger setzt die Verjährung in Lauf. Die Rechtsprechung zu § 852 BGB a.F. hatte die grob fahrlässige Unkenntnis generell nicht in den Verjährungslauf einbezogen und nur die missbräuchliche Nichtkenntnis der verlangten Kenntnis gleichgesetzt (Rdn 381 f.). Eine Schadenersatzforderung verjährte ohne positive Kenntnis des Geschädigten nur, wenn verabsäumt wurde, eine auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit zu ergreifen. Bedurfte es nur noch weiterer einfacher Nachfragen, um Kenntnis von der Person des Schädigers zu erlangen, war die Berufung auf Unkenntnis formalistisch und missbräuchlich.
Rz. 401
Durch die Einbeziehung der grob fahrlässigen Unkenntnis ging die Novellierung über die vorherige Rechtslage (d.h. die Fälle des missbräuchlichen Kenntnisentzuges) hinaus und fordert vom Geschädigten (und auch dessen Rechtsnachfolgern), sich verschärft um die Verfolgung seiner Ansprüche zu kümmern. Gefordert ist die Wahrung eigener Interessen. Die Neufassung entspricht letztlich dem Rechtsgedanken des § 277 BGB, wonach grobe Fahrlässigkeit stets auch dann schadet, wenn man in eigenen Angelegenheiten unsorgfältig handelt; Kenntnisnahme von der Existenz eines Anspruchs sowie der Person des Schuldners ist eine eigene Angelegenheit eines jeden Gläubigers.
Rz. 402
Zum Kenntnisbeginn bei zweifelhafter Rechtslage Rdn 471 f.
Rz. 403
Grobe Fahrlässigkeit bedeutet eine objektiv schwere, ungewöhnlich krasse Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, also ein Fehlverhalten, welches auch subjektiv nicht entschuldbar ist und den gewöhnlichen Umfang erheblich übersteigt. Grob fahrlässig handelt demnach, wer die von ihm zu fordernde Sorgfalt in einem ungewöhnlich groben Maße verletzt hat, indem er alles das unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dem Gläubiger muss persönlich ein schwerer Pflichtenverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können.
Rz. 404
Im Ausgangspunkt trifft einen Geschädigten im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist die Initiative zur Klärung vom Schadenshergang oder von der Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind.
Rz. 405
Grob fahrlässige Unkenntnis bezieht sich (wie die Kenntnis) auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners. Nicht vorausgesetzt wird regelmäßig, dass der Gläubiger hieraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage – sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage – zu erheben. Die Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn ist gegeben, wenn die Klage bei verständiger Würdigung hinreichende Erfolgsaussichten hat; es ist nicht erforderlich, dass die Rechtsverfolgung risikolos möglich ist (Rdn 438).
Rz. 406
Die inhaltlichen Anforderungen an den Begriff der groben Fahrlässigkeit richten sich immer auch an dem Rechtsumfeld aus, für das der Vorwurf geprüft wird. Man kann, dies berücksichtigend, zur Einschätzung auf die Rechtsprechung zu §§ 277, 300, 521, 599, 680, 968 BGB, § 61 VVG a.F., eher mit Zurückhaltung auch zu § 640 RVO und § 110 SGB VII, zugreifen.
Rz. 407
Die Beweislast für grob fahrlässige Unkenntnis hat der Schädiger. Den Anspruchsteller trifft aber u.U. die sekundäre Darlegungslast (Rdn 414).