Rz. 71
Zur Überführung des Gesamtnachlasses aus dem durch die Nacherbschaft beschränkten Sondervermögen in das Eigenvermögen des Vorerben stehen Vor- und Nacherben grundsätzlich zwei Gestaltungsmöglichkeiten zu – die Ausschlagung (§ 2142 BGB) und die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts am Gesamtnachlass auf den Vorerben.
a) Die Gestaltungsrechte
Rz. 72
Ein Recht zur Ausschlagung hat der Nacherbe bereits mit dem Tod des Erblassers, § 2142 Abs. 1 BGB. Der Gesetzgeber wollte dem Nacherben eine Gestaltungsmöglichkeit an die Hand geben, die es dem Nacherben ermöglicht, den Vorerben schon vor Eintritt des Nacherbfalls die Rechtsposition eines Vollerben zu verschaffen. Schlägt ein Nacherbe die Erbschaft aus, so verbleibt die Erbschaft dem Vorerben soweit der Erblasser nichts anderes bestimmt hat, § 2142 Abs. 2 BGB.
Rz. 73
Bis zum Eintritt des Nacherbfalls hat der Nacherbe zwar noch keine dingliche Berechtigung am Nachlass, er erwirbt jedoch bereits eine unentziehbare und gesicherte Rechtsposition in Form des Nacherbenanwartschaftsrechts. Unstreitig ist dieses Recht auch übertragbar. Auf die Übertragung des Anwartschaftsrechts finden die §§ 2033 f., 2371, 2385 BGB entsprechende Anwendung, weshalb es sowohl für das Verpflichtungs- als auch für das Verfügungsgeschäft der notariellen Beurkundung bedarf.
b) Beteiligung mehrerer Nacherben, weiterer Nacherben und Ersatznacherben
Rz. 74
Damit die durch die Nacherbschaft belastete Rechtsposition des Vorerben zum Vollerben erstarkt, bedarf es jedoch der Ausschlagung bzw. Übertragung des Anwartschaftsrechts aller Nacherben, Nachnacherben und Ersatznacherben.
Rz. 75
Im Falle der Übertragung des Anwartschaftsrechts kann der Vorerbe das Anwartschaftsrecht nur mit dem Inhalt erwerben, den es vor der Übertragung hatte. Hat der Nacherbe selbst nur eine bedingte oder befristete Rechtsposition inne – sind seine Abkömmlinge z.B. als weitere Nacherben oder als Ersatznacherben eingesetzt – erwirbt der Vorerbe ebenfalls nur ein mit der weiteren Nacherb- oder Ersatzerbfolge belastetes Recht.
Rz. 76
Für die Ausschlagung bedeutet die Mehrheit von Nacherben, dass das Anwachsungsrecht der Mitnacherben aus § 2094 BGB dem Vorerbenrecht aus § 2142 BGB vorgeht, sofern kein abweichender Erblasserwille durch Auslegung feststellbar ist.
Rz. 77
Eine dauerhafte Vollerbenstellung erlangt der Vorerbe daher durch Ausschlagung bzw. Übertragung des Anwartschaftsrechts nur, wenn keine Ersatznacherben oder Nachnacherben berufen sind oder diese ebenfalls die Erbschaft ausschlagen oder ihr Anwartschaftsrecht übertragen. Da in der Praxis die Mehrheit von Nacherben und Ersatznacherben die Regel ist – nicht zuletzt durch die Auslegungsregel des § 2069 BGB – und aufgrund der häufig bereits festgefahrenen Stimmung unter den Erben, wird eine praktisch haltbare Einigung, die sämtlichen Rechtspositionen der gegenwärtigen und künftigen Erben gerecht wird, nur schwer zu erzielen sein. Jedenfalls sind aufwendige Vertragsgestaltungen erforderlich, bei denen die Rechte sämtlicher gegenwärtiger und künftiger Erben gewahrt werden. In der Praxis handelt es sich daher in der Regel nicht um taugliche Mittel zur rechtssicheren Aufhebung der Nacherbenbindung.
c) Beteiligung von unbekannten Nacherben
Rz. 78
Sind Nacherben und/oder Ersatznacherben unbekannt, wird die Bestellung eines Pflegers nach § 1913 S. 2 BGB erforderlich, dessen Zustimmung wiederum der Bewilligung des Betreuungsgerichts bedarf (§§ 1915 Abs. 1, 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Unbekannte Nacherben sind in der Praxis nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Um Abkömmlinge nicht auszuschließen und das Vermögen gleichmäßig über Generationen hinweg aufzuteilen, flüchten sich Erblasser in vage Formulierungen, die eine Vielzahl potenzieller Nacherben einschließen. Häufig zu findende Formulierungen sind etwa "Als Nacherben setze ich meine Abkömmlinge ein" oder "Ersatznacherben sind die weiteren Abkömmlinge des Vorerben". Nach den Grundsätzen des BGH sind die bereits existierenden Abkömmlinge bekannt, selbst wenn sie das Testament nicht namentlich ausweist. Alle potenziell künftig hinzutretenden Nacherben – sei es, weil sie noch geboren werden oder ihre Persönlichkeit noch durch ein Ereignis bestimmt werden muss – sind unbekannt.
Rz. 79
Bei mehreren unbekannten Nacherben und Ersatznacherben kann ein Pfleger für mehrere Beteiligte bestellt werden. Dieser kann seine Zustimmung nur erteilen, wenn die Rechte der Nacherben gewahrt sind, für die (Ersatz-)Nacherben also ein Vorteil ersichtlich ist. Dieses Ergebnis lässt sich durch eine Abfindungsvereinbarung erreichen, bei der die Interessen sämtlicher Nacherben, auch die der unbekannten, gleichwertig mit dem ursprünglichen Nacherbenrecht berücksichtigt ...