A. Vorbemerkung
Rz. 1
Der Arbeitgeber besitzt Reaktionsmöglichkeiten auf einen Streik. Dabei ist das weitest gehende Kampfmittel immer noch die Aussperrung, verstanden als die planmäßige Ausschließung der Beschäftigten von Betrieb, Beschäftigung und Entgelt. Des Weiteren kennt eine globalisierte und vernetzte Wirtschaft die sog. "kalte Aussperrung". Dies ist eine Lohnverweigerung des Arbeitgebers mit der Begründung, wegen der Auswirkung eines anderen Arbeitskampfes könne nicht gearbeitet werden. Die Rspr. hat mittlerweile auch eine sog. betriebliche Streikabwehr anerkannt. Bei einer Stilllegung des Betriebes wird der Betrieb nicht aufrechterhalten, Arbeitswillige werden nicht beschäftigt. Des Weiteren kann der Arbeitgeber mit der Verlagerung und Schließung des Betriebs drohen. Dies hat Auswirkung auf die Arbeitnehmerseite (Däubler, Arbeitsrecht, Bd. 1, 394 f.).
B. Betriebliche Streikabwehr
Rz. 2
Betriebliche Maßnahmen zur Streikabwehr sind u.a. die Einstellung von Aushilfen, von Ersatzkräften oder Leiharbeitnehmern. Des Weiteren ist zu denken an die Beschäftigung von Fremdfirmen, die Beschäftigung von Streikbrechern, Briefe an Familienmitglieder, die Einbindung des Betriebsrates oder die Zahlung von Extraprämien. Des Weiteren ist in der Praxis die Drohung mit Verlagerung oder Personalabbau, die Hinweise auf volkswirtschaftliche Schäden, auf die Gefährdung der Arbeitsplätze und der Wettbewerbsfähigkeit, der Abfrage einer Gewerkschaftszugehörigkeit und Streikbereitschaft bekannt geworden.
Der Einsatz von Leih-AN zur Effektivierung der innerbetrieblichen Streikabwehr wurde durch den Gesetzgeber durch die seit dem 1.4.2017 geltende Neufassung des § 11 Abs. 5 AÜG untersagt. Die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17). Danach ist es gerechtfertigt, die Einwirkung auf Arbeitskämpfe zulasten der Gewerkschaften durch den Streikbrechereinsatz von Leih-AN gesetzlich einzuschränken. Das individuelle Leistungsverweigerungsrecht des Leih-AN im Fall des Streikbrechereinsatzes (§ 11 Abs. 5 S. 3 AÜG) ist nicht geeignet, den missbräuchlichen Einsatz der Leiharbeit zu unterbinden, weil es wegen der damit für den Leih-AN verbundenen Nachteile kaum wahrgenommen werden kann. Ohne das Verbot verliert der Streik aber an Durchsetzungskraft, da seine Folgen durch den Fremdpersonaleinsatz nahezu folgenlos abgefangen werden können (BVerfG v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17). Die so vorgenommene Ausgestaltung der Tarifautonomie ist vom Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, da sie ein legitimes Ziel mit einem nicht von vorneherein ungeeigneten Mittel verfolge, das sich insgesamt auch als zumutbar erweist.
Rz. 3
Der rechtliche Charakter oder die Frage danach, ob es sich um notwendige Arbeitskampfmittel handelt, ist ungeklärt. Für den Fall der Zahlung von Streikbruchprämien, um die Fortführung des Betriebes zu sichern, hat das BAG darin eine unzulässige Maßregelung nur dann gesehen, wenn die Prämie nach dem Streik zugesagt wird, sozusagen als Entgelt für die unterbliebene Streikbeteiligung (BAG v. 4.8.1987, DB 1988, 193; BAG v. 11.8.1992, AiB 1993, 244). Darüber hinaus sollen Zahlungen zulässig sein, die vor oder während des Streiks zugesagt werden. Ebenso sind solche Zahlungen zulässig, die für besondere Belastungen und Erschwernisse gewährt werden, etwa weil sonst nicht ausgeübte Tätigkeiten verrichtet würden. Das Streikrecht werde dadurch nicht ausgehöhlt (BAG v. 28.7.1992 – 1 AZR 87/92, DB 1993, 232; BAG v. 13.7.1993, DB 1994, 144; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 42 Rn 124). Auf der anderen Seite ist zu überlegen, ob die Prämienzahlung die Streikenden benachteiligt. Auch ein tarifliches Maßregelungsverbot kann die vor oder während des Streiks gezahlten Streikbruchprämien unzulässig machen mit der Folge, dass auch die Streikenden die Zahlungen beanspruchen können (BAG v. 11.8.1992, AiB 1993, 244; BAG v. 4.8.1987, DB 1988, 183; BAG v. 13.7.1993, DB 1994, 144).
C. Betriebsstilllegung
Rz. 4
Der Arbeitgeber kann sich dem Streik beugen und beschließen, den Betrieb bzw. Betriebsteil nicht fortzuführen, sondern stillzulegen. Mit der Stilllegung wird die Beschäftigungs- und Entgeltzahlungspflicht der Arbeitnehmer suspendiert. Dies gilt auch für diejenigen, die sich nicht am Streik beteiligen oder deren Beschäftigung möglich und zumutbar wäre (BAG v. 22.3.1994 – 1 AZR 622/92, DB 1994, 738; BAG v. 31.1.1995, DB 1995, 1817; BAG v. 27.6.1995, DB 1996, 143; BAG v. 11.7.1995, DB 1996, 224; ErfK/Dieterich, GG, Art. 9 Rn 211 ff.). Die Stilllegung bedarf allerdings einer eindeutigen Erklärung des Arbeitgebers ggü. den Beschäftigten. Es muss deutlich gemacht werden, dass der Arbeitgeber den bestreikten Betrieb oder Betriebsteil nicht fortführen, sondern die Tätigkeiten einstellen will (BAG v. 22.3.1994 – 1 AZR 622/92, DB 1994, 738; BAG v. 11.7.1995, DB 1995, 1817). Die Stilllegung des Betriebs kann nur im Umfang und für die Dauer des gewerkschaftlichen Streikaufrufs erfolgen (BAG v. 27.6.1995 – 1 AZR 1016/94, DB 1996, 143; BAG v. 12.11.1...