Rz. 58
Bevor das Gericht in einem anhängigen Rechtsstreit in der Sache selbst entscheidet, muss es von Amts wegen prüfen, ob die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen. Dazu gehört auch die Prüfung, ob der Rechtsstreit vor einem zuständigen Gericht des richtigen Rechtsweges anhängig gemacht worden ist. Stellt sich heraus, dass der zum ArbG beschrittene Rechtsweg unzulässig ist, weil keine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt oder weil keine der Vorschriften über die ausschließliche oder die "Auch-Zuständigkeit" der ArbG eingreift, muss das ArbG den Rechtsstreit nach Maßgabe der §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17a GVG von Amts wegen durch Beschl. an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges verweisen. Gelangt das ArbG zu der Ansicht, der zum ArbG beschrittene Rechtsweg sei zulässig, so kann es dies vorab durch Beschl. aussprechen. Es muss vor der Sachentscheidung einen entsprechenden Beschl. verkünden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des zum ArbG beschrittenen Rechtsweges gerügt hat. Im zweiten und dritten Rechtszug prüft das Rechtsmittelgericht die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht mehr (§ 17a Abs. 5 GVG). Es bleibt bei dem einmal beschrittenen Rechtsweg.
Rz. 59
In der gerichtlichen Praxis nehmen Rechtsstreitigkeiten, in denen die Parteien darüber streiten, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis oder ein freies Mitarbeiterverhältnis vorliegt, breiten Raum ein. Wird ein solcher Streit bei einem Gericht eines anderen Rechtsweges anhängig gemacht und verweist dieses Gericht, z.B. ein AG oder LG, den Rechtsstreit rechtkräftig an das ArbG, so ist die Frage "Arbeitsverhältnis oder freies Mitarbeiterverhältnis" ohne Rücksicht darauf, ob das verweisende Gericht sie richtig beantwortet hat, für die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den ArbG nicht weiter von Belang, denn das ArbG wäre auch bei einer unzutreffenden rechtlichen Beurteilung des verweisenden Gerichts an den rechtkräftigen Verweisungsbeschluss gebunden, § 17a Abs. 2 S. 3 GVG. Es könnte dann den Rechtsstreit allenfalls wegen örtlicher Unzuständigkeit an das örtlich zuständige ArbG weiter verweisen.
Rz. 60
Streiten die Parteien hingegen vor dem ArbG im Rahmen einer dort eingereichten Klage über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges, weil der Kläger von seiner Arbeitnehmereigenschaft ausgeht, die beklagte Partei dies jedoch anders beurteilt, so gilt für die Rechtswegzuständigkeit Folgendes:
Rz. 61
Kann die Klage nur Erfolg haben, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist, reicht nach Ansicht des BAG (BAG v. 24.4.1996 – 5 AZB 25/95, NZA 1996, 1005 = DB 1996, 1578; BAG v. 8.11.2006, AP § 2 ArbGG 1979 Nr. 89) zur Bejahung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit die bloße Rechtsbehauptung des Klägers aus, er sei Arbeitnehmer. Auf die Schlüssigkeit seines Vortrages kommt es nicht an. Stellt sich die Rechtsbehauptung i.R.d. Prüfung der Begründetheit der Klage als unzutreffend heraus, ergeht eine klagabweisende Sachentscheidung. In derartigen Fällen – so das BAG (BAG v. 24.4.1996 – 5 AZB 25/95, NZA 1996, 1005 = DB 1996, 1578) – verlangt weder die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung noch der Gedanke der Respektierung der Nachbargerichtsbarkeit eine Verweisung in einen anderen Rechtsweg. Daraus folgt, dass die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit immer dann anzunehmen ist, wenn sich der Kläger gegen die Kündigung des Dienstverhältnisses wendet, das er selbst für ein Arbeitsverhältnis, die beklagte Partei jedoch für ein freies Mitarbeiterverhältnis hält und der Kläger nur Unwirksamkeitsgründe geltend macht, die seine Arbeitnehmereigenschaft voraussetzen. Unter diesen sog. "sic-non-Fällen" versteht man demnach Fallgestaltungen, in denen der mit der Klage geltend gemachte Anspruch ausschließlich auf eine arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, jedoch fraglich ist, ob deren Voraussetzungen vorliegen. Die entsprechenden Tatsachenbehauptungen des Klägers sind bei sic-non-Fällen "doppelrelevant", d.h. sie sind sowohl für die Rechtswegzuständigkeit als auch für die Begründetheit der Klage maßgebend.
Rz. 62
Beispiele für "sic-non-Fälle"
Die Behauptung des abberufenen Geschäftsführers, er sei nach Verlust der Organstellung wieder Arbeitnehmer geworden, weil ein ruhendes Arbeitsverhältnis wieder aufgelebt sei (vgl. hierzu Rdn 9), mag offensichtlich unschlüssig sein. Sie reicht jedoch für die Begründung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit der ausschließlich auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung gestützten Klage aus (BAG v. 18.12.1996 – 5 AZB 25/96, NZA 1997, 509).
Der "Ein-Euro-Jobber", der nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II aufgrund eines Zuweisungsbescheides in einer städtischen Bibliothek beschäftigt worden ist und der nach Aufhebung des Bescheides behauptet, ihm sei das Arbeitsverhältnis sozialwidrig gekündigt worden, mag die Rechtslage offensichtlich falsch beurteilen. Seine Rechtsbehauptung reicht jedoch für die Annahme der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit der ausschließlich auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung gestützten Klage aus (BAG v. 8.11.2006 – 5 AZR 3...