Peter Houben, Dr. Stephan Karlsfeld
Rz. 38
Die Vorschriften über den Allgemeinen Kündigungsschutz – §§ 1–14 KSchG – und über den Kündigungsschutz i.R.d. Betriebsverfassung und Personalvertretung – §§ 15, 16 KSchG – gelten nach § 23 Abs. 1 S. 1 KSchG für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechtes, für Besatzungen von Seeschiffen, Binnenschiffen und Luftfahrzeugen mit den in § 24 Abs. 2–5 KSchG normierten Besonderheiten (vgl. Rdn 8). Die Berufung auf den Allgemeinen Kündigungsschutz, also darauf, die Kündigung oder die Änderung der Arbeitsbedingungen sei sozial ungerechtfertigt, setzt voraus, dass der Arbeitnehmer in einem Betrieb oder einer Verwaltung mit einer in § 23 Abs. 1 S. 2 und S. 3 KSchG festgelegten Mindestgröße beschäftigt ist.
a) Beschäftigung in einem Betrieb oder einer Verwaltung
Rz. 39
Maßgebend für das Bestehen des Kündigungsschutzes ist die Anzahl der Arbeitnehmer des Betriebs. Der Betriebsbegriff wird im KSchG nicht definiert. Als Betrieb wird gemeinhin die organisatorische Einheit verstanden, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen Mitarbeitern durch Einsatz von sächlichen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen. Da in einem Betrieb mehrere Zwecke verfolgt werden können, ist in erster Linie auf die Einheit der Organisation abzustellen. Erforderlich ist ein Leitungsapparat, der insb. wesentliche Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten selbstständig trifft (BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831). Die einen Betrieb i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG konstituierende Leitungsmacht wird dadurch bestimmt, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird. Entscheidend ist, wo schwerpunktmäßig über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden (BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859–862).
Rz. 40
Betrieb i.S.d. § 23 KSchG ist nicht der Konzern oder das Unternehmen. Das Unternehmen ist die organisatorische Einheit, die aus einem oder mehreren Betrieben bestehen kann und die durch einen gemeinsamen wirtschaftlichen oder ideellen Zweck verbunden ist (APS/Preis, Grundlagen C Rn 87). Ein Unternehmen kann mehrere Betriebe unterhalten. Auch dann, wenn sich ein Unternehmen in mehrere Kleinbetriebe gliedert, in denen insgesamt mehr als 10 bzw. 5 Arbeitnehmer beschäftigt werden, bleibt es beim Betriebsbezug, denn die gesetzlich gebotene Unterscheidung von Betrieb und Unternehmen ist zu beachten (BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08). Andererseits können mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb führen, mit der Folge, dass die in diesem Betrieb Beschäftigten, die unterschiedliche Arbeitgeber haben, kündigungsrechtlich zusammenzurechnen sind. Ein gemeinsamer Betrieb besteht unter der Voraussetzung, dass die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Dazu müssen sich die beteiligten Unternehmen zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Diese einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Funktionen eines Arbeitgebers in sozialen und personellen Angelegenheiten erstrecken (BAG v. 24.1.1996 – 7 ABR 10/95, DB 1996, 2131 = NZA 1996, 1110). Diesen von der Rechtsprechung entwickelten Begriff hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 BetrVG übernommen. Danach wird widerlegbar vermutet, dass ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen besteht, wenn
▪ |
zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke die Betriebsmittel sowie die Arbeitnehmer von den Unternehmen gemeinsam eingesetzt werden oder |
▪ |
die Spaltung eines Unternehmens zur Folge hat, dass von einem Betrieb ein oder mehrere Betriebsteile einem an der Spaltung beteiligten anderen Unternehmen zugeordnet werden, ohne dass sich dabei die Organisation des betroffenen Betriebes wesentlich ändert. |
Ein gemeinschaftlicher Betrieb zwischen einer Konzernholding und einer Tochtergesellschaft liegt nach dem Urt. des BAG (29.4.1999 – 2 AZR 352/98, NZA 1999, 932 = DB 1999, 1710) nicht bereits dann vor, wenn die Holding aufgrund ihrer konzernrechtlichen Leitungsmacht ggü. dem Vorstand der Tochter-AG anordnet, die Tochter solle bestimmte Arbeiten (z.B. Schreibarbeiten) für die Holding mit erledigen. Besteht kein Gemeinschaftsbetrieb zwischen Holding und Tochter, so genießt ein Arbeitnehmer der Holding nur dann Kündigungsschutz, wenn die Holding ihrerseits dem KSchG unterliegt, insb. die erforderliche Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigt (vgl. auch BAG v. 13.6.2002 – 2 AZR 327/01, NZA 2002, 1147 = DB 2002, 2171). Die bloße teilweise Identität auf Geschäftsführungsebene ist kein hinreichendes Indiz für die gemeinsame Betriebsführung mehrer...