Peter Houben, Dr. Stephan Karlsfeld
Rz. 93
Nach der gesetzlichen Beweisregel in § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG hat der Arbeitgeber bei allen drei Kündigungsgründen des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG die Tatsachen zu beweisen – und damit notwendigerweise vorher darzulegen –, die die Kündigung bedingen. Er muss also zunächst den Kündigungsgrund oder auch die Kündigungsgründe darlegen, d.h. im Kündigungsschutzprozess mit substantiierten Tatsachenbehauptungen aufwarten, die geeignet sind, die Kündigung als sozial gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Werden die zur Begründung der Kündigung vorgebrachten Tatsachenbehauptungen vom Arbeitnehmer bestritten, muss sie der Arbeitgeber beweisen, sofern sich das Bestreiten nicht als "unerheblich" herausstellt, d.h. der Kündigungsgrund trotz der Gegenbehauptungen oder des Bestreitens des Arbeitnehmers durchgreift. Der Arbeitgeber muss außerdem die durch den jeweiligen Kündigungsgrund entstehenden erheblichen Beeinträchtigungen vertraglicher bzw. betrieblicher Interessen einschließlich der Zukunftsprognose sowie die Verhältnismäßigkeit des Kündigungseingriffs in den Bestandsschutz des Arbeitnehmers darlegen.
Rz. 94
Der Arbeitgeber ist bei der betriebsbedingten Kündigung darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass dringende betriebliche Gründe die Kündigung bedingen. Dagegen bürdet § 1 Abs. 3 S. 3 KSchG dem Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen auf, aus denen herzuleiten ist, dass die Kündigung wegen einer vom Arbeitgeber nicht oder fehlerhaft vorgenommenen sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt ist. Zumal in großen Betrieben wird der gekündigte Arbeitnehmer alle mit ihm unter dem Aspekt der Sozialauswahl vergleichbaren Arbeitnehmer und deren nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG berücksichtigungsfähige Sozialdaten gar nicht kennen. In solchen Fällen genügt der Arbeitnehmer zunächst seiner Darlegungslast, wenn er die soziale Auswahl pauschal beanstandet und zugleich vom Arbeitgeber gem. § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 KSchG die Mitteilung der Gründe verlangt, die diesen zu seiner Auswahlentscheidung veranlasst haben (BAG v. 8.8.1985, NZA 1986, 679 = DB 1986, 1577). Kommt der Arbeitgeber dem Auskunftsverlangen nach, hat der Arbeitnehmer vorzutragen und ggf. zu beweisen, welche vom Arbeitgeber in die Sozialauswahl einbezogenen Arbeitnehmer weniger schutzwürdig sein sollen oder welche weiteren, vom Arbeitgeber nicht benannten Arbeitnehmer fälschlich nicht in die Auswahlentscheidung einbezogen worden sind (BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264 = DB 1989, 485). Gibt der Arbeitgeber keine Auskunft, hat der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast schon allein durch das Bestreiten der Ordnungsmäßigkeit der sozialen Auswahl genügt (BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264 = DB 1989, 485).
Der Arbeitnehmer muss ferner etwaige Unrichtigkeiten bei den Sozialdaten der vergleichbaren Arbeitnehmer konkret benennen. Jedenfalls dann, wenn ihm die Namen der vergleichbaren Arbeitnehmer und deren Sozialdaten bekannt sind, hat er die als sozial weniger schutzwürdig angesehenen Arbeitnehmer sowie deren Daten mitzuteilen.
Bestreitet der Arbeitnehmer den Wegfall seines Arbeitsplatzes, genügt zunächst der allgemeine Vortrag des Arbeitgebers, aufgrund des reduzierten Beschäftigungsbedürfnisses könne der Arbeitnehmer nicht weiter beschäftigt werden. Es ist Sache des Arbeitnehmers darzulegen, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt. Erst in einem weiteren Schritt muss der Arbeitgeber beweisen, dass andere freie Arbeitsplätze nicht vorhanden sind oder aus welchen Gründen eine Umsetzung ausscheidet.
Rz. 95
Bei der verhaltensbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber alle Umstände darlegen und beweisen, aus denen sich das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers ergibt. Allerdings kann z.B. aus einer Arbeitsversäumnis nicht schon ohne weiteres auf eine Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer geschlossen werden, denn damit ist die Rechtswidrigkeit des beanstandeten Verhaltens noch nicht begründet. Der Arbeitgeber muss nicht von vornherein mit seinem Vortrag mögliche Rechtfertigungsgründe des Arbeitnehmers widerlegen. Beruft sich der Arbeitnehmer auf einen "Rechtfertigungsgrund" für sein zum Anlass der Kündigung genommenes Verhalten, hängt die Erklärungslast des Arbeitgebers von der Einlassung des Arbeitnehmers ab. Im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hat der Arbeitnehmer den Geschehensablauf, aus dem er die Rechtfertigung seines Verhaltens herleitet, so genau vorzutragen, dass der Arbeitgeber in die Lage versetzt wird, hierauf mit von ihm zu beweisenden Gegenbehauptungen zu antworten.
Beispiele aus der Rspr. des BAG
Beruft sich der Arbeitnehmer für sein Fernbleiben von der Arbeit darauf, dass er infolge einer Erkrankung arbeitsunfähig gewesen sei, muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass der Arbeitnehmer in Wirklichkeit doch arbeitsfähig gewesen ist (BAG v. 12.8.1976 – 2 AZR 237/75, BB 1976, 1517 = DB 1976, 2357).
Begegnet der gekündigte Arbeitnehmer dem Vorwurf, er habe unentschuldigt...