Peter Houben, Dr. Stephan Karlsfeld
Rz. 58
Die Überprüfung einer ordentlichen Kündigung auf ihre soziale Rechtfertigung setzt neben der hinreichenden Betriebsgröße voraus, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, § 1 Abs. 1 S. 1 KSchG. Diese Wartezeit dient der Erprobung. Sie kann – auch kollektivrechtlich – nicht verlängert, wohl aber zugunsten des Arbeitnehmers ausgeschlossen oder verkürzt werden. Eine Sonderregelung findet sich in § 24 Abs. 2 KSchG. Dort ist bestimmt: "Dauert die erste Reise eines Besatzungsmitglieds im Dienst einer Reederei oder eines Luftverkehrsbetriebes länger als sechs Monate, so verlängert sich die Sechs-Monats-Frist des § 1 Abs. 1 KSchG bis drei Tage nach Beendigung dieser Reise."
Rz. 59
Die Kündigungserklärung kann dem Arbeitnehmer noch am letzten Tag der Wartezeit zugehen, ohne dass er geltend machen kann, die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Wartet der Arbeitgeber allerdings bis "zur letzten Minute" um sein "freies Kündigungsrecht" auszuüben, läuft er Gefahr, in einen Prozess verwickelt zu werden, in dem der Arbeitnehmer argumentiert, die Kündigung sei einzig und allein mit dem Ziel ausgesprochen worden, den Eintritt des Kündigungsschutzes zu verhindern. Auch wird vielfach der rechtzeitige Kündigungszugang bestritten. Das sollte bedacht werden, wenn die Kündigung "kurz vor Toresschluss" ausgesprochen wird. Zwar wird es dem insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Arbeitnehmer in den seltensten Fällen gelingen, dem Arbeitgeber eine rechtsmissbräuchliche Ausübung des Kündigungsrechtes nachzuweisen. Schließlich gilt hier, wie bei allen Fristen, dass sie voll ausgeschöpft werden dürfen. Für den rechtzeitigen Kündigungszugang ist aber der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet.
Rz. 60
Das Erfordernis des ununterbrochenen sechsmonatigen Bestandes des Arbeitsverhältnisses ist erfüllt, wenn die Vertragsparteien in dieser Zeitspanne allein durch den Arbeitsvertrag rechtlich miteinander verbunden waren, ohne dass es darauf ankommt, ob das Arbeitsverhältnis während dieser Zeit "gelebt" worden ist, also Arbeitsleistung und Vergütung auch tatsächlich ausgetauscht wurden. Die Wartezeit läuft ab dem Beginn des Tages, an dem die Arbeitsleistung erstmals geschuldet wird. Für die Erfüllung der Wartezeit sind tatsächliche Unterbrechungen (Urlaub, Krankheit, Schulungsteilnahme) unschädlich. Von tatsächlichen sind rechtliche Unterbrechungen zu unterscheiden. Rechtlich unterbrochen ist das Arbeitsverhältnis, wenn es beendet wird. Auch hier kann ausnahmsweise von einem ununterbrochenem Bestand des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden, wenn zwischen den Arbeitsverhältnissen ein enger sachlicher Zusammenhang besteht und die zeitliche Unterbrechung verhältnismäßig kurz ist (BAG v. 22.9.2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429; BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 94/06). Nicht entscheidend ist, ob die Wartezeit im selben Betrieb verbracht worden ist. Denn maßgebend ist die im selben Unternehmen verbrachte Beschäftigungszeit. Deshalb ist auch die in einem anderen Betrieb des Unternehmens verbrachte Zeit anzurechnen.
Rz. 61
Die Zeit der Berufsausbildung ist auf die Wartezeit anzurechnen. Kündigt bspw. der Arbeitgeber seinem in ein Arbeitsverhältnis übernommenen Auszubildenden nach 3 Monaten, kann dieser die ordentliche Kündigung auf ihre soziale Rechtfertigung gerichtlich überprüfen lassen, falls der Arbeitgeberbetrieb die für das KSchG erforderliche Größe aufweist (BAG v. 2.12.1999 – 2 AZR 139/99). Berücksichtigungsfähig sind auch Zeiten, die im Fall eines Betriebsübergangs beim Veräußerer zurückgelegt worden sind. Unberücksichtigt bleiben dagegen bei der Übernahme eines Leiharbeitnehmers die beim Verleiher verbrachten Zeiten.