Rz. 44
Nicht atypisch ist der Fall, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordert, ab sofort andere Tätigkeiten auszuüben und sich hierbei auf ein ihm vermeintlich zustehendes Direktionsrecht (zum Direktionsrecht s. § 21 Rdn 530 ff.) beruft und deshalb eine Änderungskündigung für nicht erforderlich hält. Da die Sicherung der bisherigen Beschäftigung eine auf Befriedigung gerichtete Leistungsverfügung darstellt, knüpft die Rechtsprechung strenge Voraussetzungen an das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Hiernach erfordert die Bejahung eines Verfügungsgrundes für eine einstweilige Verfügung gegen Weisungen des Arbeitgebers zu Inhalt, Ort und Art der Arbeitsleistung entweder ein deutlich gesteigertes Abwehrinteresse des Arbeitnehmers, wie es allenfalls bei erheblichen Gesundheitsgefahren, einer drohenden irreparablen Schädigung des beruflichen Ansehens oder bei schweren Gewissenskonflikten bestehen kann oder aber das Vorliegen einer offenkundig rechtswidrigen Maßnahme des Arbeitgebers (LAG Köln v. 24.6.2010 – 9 Ta 192/10, juris; LAG Hamm v. 5.2.2008 – 11 SaGa 4/08, juris).
Rz. 45
Ein Verfügungsgrund und somit der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt in Betracht, sofern der Arbeitgeber den Arbeitnehmer arbeitsvertragswidrig beschäftigt und diese unrechtmäßige Beschäftigung als Mittel der Zermürbung des Arbeitnehmers einsetzt, um diesen zur Aufgabe seines Arbeitsplatzes zu bewegen (LAG Thüringen v. 10.4.2001 – 5 Sa 403/00, DB 2001, 1204 – in dieser Mobbing-Entscheidung hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit Aufgaben betraut, die sechs Vergütungsgruppen niedriger [BAT VIb statt BAT II] bewertet waren – das Gericht hat es als unzumutbar angesehen, den Arbeitnehmer auf die Durchführung des Hauptverfahrens zu verweisen). Weiterhin kann ein Berufsfußballer seinen Anspruch auf Teilnahme am Mannschaftstraining im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen, da die Berufschancen auf dem Markt durch die Nichtteilnahme erheblich sinken (ArbG Solingen v. 16.1.1996 – 2 Ga 1/96, BB 1996, 1618). Ein Verfügungsgrund besteht weiterhin, sofern der Arbeitnehmer auf dem ihm zugewiesenen Arbeitsplatz Gesundheitsgefahren ausgesetzt ist (LAG Köln v. 14.8.2013 – 7 Ta 243/13, juris – der Arbeitgeber setzt eine Flugbegleiterin entgegen dem betriebsärztlichen Votum auf der Kurzstrecke ein). Schließlich kommt auch ein Verfügungsgrund bei einer offensichtlich rechtswidrigen Versetzungsanweisung in Betracht (LAG Rheinland-Pfalz v. 9.2.2011 – 7 Ta 7/11, juris: Der Arbeitgeber versetzt den Arbeitnehmer in eine andere Stadt, obwohl der Beschäftigungsort im Arbeitsvertrag angegeben ist und der Arbeitsvertrag keinen örtlichen Versetzungsvorbehalt enthält).
Rz. 46
Die Rechtsprechung steht auf dem Standpunkt, dass es dem Arbeitnehmer, von den engen vorstehend geschilderten Ausnahmen abgesehen, grds. zumutbar ist, dem vermeintlichen Direktionsrecht des Arbeitgebers bzw. der Versetzung nachzukommen und die Rechtmäßigkeit im Hauptsacheverfahren überprüfen zu lassen, sodass es zumeist am Vorliegen eines Verfügungsgrundes mangelt (LAG Hessen v. 15.2.2011 – 13 SaGa 1934/10, juris; LAG Hamm v. 5.2.2008 – 11 SaGa 4/08, juris; LAG München v. 1.12.2004 – 5 Sa 913/04, NZA-RR 2005, 354 = FA 2005, 219). Die restriktive Rspr. ist für die Arbeitnehmer nicht unproblematisch, da ihnen das Risiko von unrechtmäßigen oder unbilligen Weisungen auferlegt wird. Die Rspr. sieht es als zumutbar an, dass der Arbeitnehmer zunächst der Anweisung Folge leistet und die Rechtmäßigkeit im Hauptverfahren überprüfen lässt, eine Verfahrensdauer von neun Monaten dürfte keine Seltenheit sein. Natürlich bleibt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, die Weisung im Hinblick auf deren Unrechtmäßigkeit nicht zu befolgen, er muss jedoch dann eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitgebers wegen Arbeitsverweigerung befürchten. In dem sich anschließenden Kündigungsrechtstreit wird sodann inzident über die Rechtmäßigkeit der Weisung entschieden. Eine entsprechende Eskalation könnte vermieden werden, wenn die Rechtsprechung die Anforderungen an das Vorliegen eines Verfügungsgrundes reduzieren würde. Die Arbeitsvertragsparteien haben ein erhebliches Interesse, hier schnell Rechtssicherheit zu erlangen.
Während der Corona-Pandemie haben die Gerichte Anträge von Arbeitnehmern auf Befreiung von dem Tragen einer vom Arbeitgeber angeordneten Mund-Nase-Bedeckung zurückgewiesen, da die Anordnung zum Tragen einer Maske grundsätzlich vom Direktionsrecht umfasst und aufgrund des Infektionsschutzes auch angemessen sei (LAG Köln v. 12.4.2021 – 2 SaGa 1/21, juris; ArbG Siegburg v. 16.12.2020 – 4 Ga 18/20, juris). Weiterhin war der Anspruch des Arbeitnehmers auf Home-Office auf die Ausnahmesituation der Pandemie beschränkt, ein Anspruch des Arbeitnehmers in der Zukunft kann hieraus nicht abgeleitet werden (LAG München v. 26.8.2021 – 3 SaGa 13/21, juris; ArbG Augsburg v. 7.5.2020 – 3 Ga 9/20, juris).