Dr. iur. Silvia Fedra Pestke
A. Allgemeines
Rz. 1
Das BVerfG entscheidet in den in Art. 93 GG genannten Fällen. Für das Arbeitsrecht sind hier von Belang zum einen Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch arbeitsgerichtliche Entscheidungen in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte verletzt zu sein (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG), und zum anderen die sog. Richtervorlagen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 GG i.V.m. Art. 100 GG). Die Gerichte für Arbeitssachen müssen von der Vorlagemöglichkeit nach Art. 100 GG Gebrauch machen, wenn sie eine Rechtsnorm für verfassungswidrig halten und mit einer verfassungskonformen Auslegung nicht zum Zuge kommen. Die Gerichte für Arbeitssachen setzen sich einer Verfassungsbeschwerde aus, wenn sie von der Vorlagemöglichkeit nach Art. 177 Abs. 3 EGV an den EuGH keinen Gebrauch machen. In der Nichteinleitung eines Vorlageverfahrens nach Art. 177 Abs. 3 EGV liegt jedenfalls dann eine Verletzung des grundgesetzlich verbrieften Anspruches auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), wenn ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der seiner Auffassung nach bestehenden Entscheidungserheblichkeit einer zweifelhaften gemeinschaftsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, es in seiner Entscheidung bewusst von der Rspr. des EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht oder wenn das Gericht trotz Fehlens oder nicht abschließender Aussagen einer Rspr. des EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen seine Entscheidung auf eine europarechtliche Auffassung stützt, obwohl mögliche Gegenauffassungen eindeutig vorzuziehen sind (BVerfG v. 31.5.1990 – 2 BvL 12/88, NJW 1991, 830 = NVwZ 1991, 53; BVerfG v. 13.6.1997, AR-Blattei ES 500 Nr. 128).
B. Richtervorlagen
Rz. 2
Sind die Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG gegeben, so haben die Gerichte die Entscheidung des BVerfG nicht über das zuständige oberste Gericht des Landes und nicht über den Präsidenten dieses Gerichtes, also gem. § 80 Abs. 1 BVerfGG nicht im Justizverwaltungsweg, sondern im Gerichtsweg unmittelbar selbst einzuholen (BVerfG v. 20.5.1952, BVerfGE 1, 283). Das BVerfG gibt auch den Beteiligten des Verfahrens vor dem Gericht, das den Antrag gestellt hat, Gelegenheit zur Äußerung; es lädt sie zur mündlichen Verhandlung und erteilt den anwesenden Prozessbevollmächtigten – es besteht vor dem BVerfG Anwaltszwang – das Wort (§ 82 Abs. 3 BVerfGG).
Rz. 3
Die Begründung des Vorlagebeschlusses muss angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichtes abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist (§ 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG). Der Antrag des Gerichtes ist unabhängig von der Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch einen Prozessbeteiligten (§ 80 Abs. 3 BVerfGG). Das BVerfG kann die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nicht auf der Grundlage einer unrichtigen Auslegung dieser Norm durch das vorlegende Gericht prüfen (BVerfG v. 18.6.1957 – 1 BvL 12/55, NJW 1957, 1185). Hält das vorlegende Gericht eine für sein Verfahren erhebliche nachkonstitutionelle Rechtsnorm mit dem GG für unvereinbar, dann kann es sein Verfahren nur noch in einer Weise fördern, nämlich durch Aussetzungs- und Vorlagebeschluss an das BVerfG; jede andere das Verfahren weiterführende Entscheidung verbietet Art. 100 GG, denn der ausschließlichen Entscheidungskompetenz des BVerfG über die Frage der Unvereinbarkeit einer Vorschrift mit dem GG darf ein Gericht nicht durch Prognosen über die vermutliche Entscheidung des BVerfG und durch ein daran geknüpftes Vorbehaltsurteil vorgreifen. Eine mit einem solchen Vorbehaltsurteil verbundene Vorlage ist unzulässig (vgl. BVerfG v. 27.2.1973, NJW 1973, 2100 m. Anm. Bethge = SAE 1973, 177 m. Anm. Pestalozza).
Rz. 4
Die Zulässigkeit einer Richtervorlage (Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG) setzt die erschöpfende Darlegung der rechtlichen Erwägungen und die eingehende Auseinandersetzung mit der Rechtslage voraus (BVerfG v. 25.2.1988, AR-Blattei ES 390 Nr. 34 = D-Blatt "Bergarbeitsrecht: Entsch. 34"). Das vorlegende Gericht muss darlegen, inwiefern es für die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm ankommt. Im Hinblick darauf kann es auch erforderlich sein, vor der Anrufung des BVerfG zu prüfen, ob ein verfassungswidriges Ergebnis auf andere Weise – etwa durch verfassungskonforme Auslegung der infrage stehenden Vorschrift oder Heranziehung anderer Vorschriften – vermieden werden kann (BVerfG v. 12.5.1992, FamRZ 1992, 1036). Denn ein konkretes Normenkontrollverfahren ist nur zulässig, wenn dies zur Entscheidung eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens unerlässlich ist. Deshalb hat das vorlegende Gericht darzulegen, weshalb es von der Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung und damit von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm überzeugt ist. Ist dagegen eine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Ver...