Rz. 22
Eine lang andauernde vorläufige Entziehung ist ein möglicher Ausnahmegrund, wenn auch der bloße Zeitablauf allein nicht (siehe aber OLG Zweibrücken NZV 1977, 448; OLG Hamm NZV 2007, 639; LG Köln DV 16, 286; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 6.10.2016 – 3 (5) Ss 473/16) zur Aufhebung nötigt (OLG Frankfurt zfs 1992, 319; OLG Düsseldorf zfs 1994, 186; OLG Stuttgart NZV 1997, 317; LG Halle zfs 1998, 441; OLG Köln VRS 90, 123; OLG Karlsruhe zfs 2004, 477; LG Stade zfs 2005, 99; BVerfG NZV 2005, 537).
Rz. 23
Prozessual nicht unzulässige Versuche des Angeklagten, die Maßregel abzuwenden bzw. zu verzögern, dürfen bei der Eignungsfrage übrigens ebenso wenig zu seinem Nachteil verwendet werden wie bei der Entscheidung darüber, ob eine bereits seit langem andauernde vorläufige Entziehung aufzuheben ist (OLG Köln VRS 90, 123).
Rz. 24
Tipp
Auch der BGH (DAR 2000, 532) betont, dass das Revisionsgericht die Entscheidung des Tatrichters, die Fahrerlaubnis nicht mehr zu entziehen, dann hinnehmen muss, wenn dieser die in solchen Fällen notwendige Gesamtwürdigung von Tatumständen und Täterpersönlichkeit vorgenommen hat; eben weil die Regelvermutung nach längerer Entzugszeit nicht mehr wirkt.
Rz. 25
Achtung: Deklaratorisches Fahrverbot
Wird die Fahrerlaubnis alleine im Hinblick auf die bereits lang andauernde vorläufige Entziehung nicht entzogen, muss das Gericht ein deklaratorisches Fahrverbot aussprechen, obwohl das Fahrverbot wegen der gem. § 25 Abs. 6 StVG bestehenden Anrechnungspflicht verbüßt ist (BGH NJW 1980, 130).
Rz. 26
Für einen Teil der Rechtsprechung (z.B. KG NZV 1997, 126) ist dagegen selbst eine lang andauernde Entzugszeit kein Grund für die Aufhebung der vorläufigen Entziehung. Im Gegenteil, diese Gerichte bejahen praktisch ohne Rücksicht auf die Dauer der vorläufigen Entziehung regelmäßig in der Hauptverhandlung noch die Ungeeignetheit, so dass es zu einer endgültigen Entziehung der Fahrerlaubnis kommt. Offensichtlich soll dadurch vermieden werden, dass der Betreffende den Führerschein "über den Richtertisch" bekommt und ohne MPU (Fahreignungsuntersuchung) wieder am Straßenverkehr teilnehmen kann.
Rz. 27
Solche Überlegungen dürfen indessen bei der Entscheidung, ob wegen des Übermaßverbotes die vorläufige Entziehung aufgehoben werden muss, keine Rolle spielen. Sie gehen im Übrigen auch von unzutreffenden rechtlichen Annahmen aus, denn die Fahrerlaubnisbehörde ist trotz der grundsätzlich bestehenden Achtungspflicht von strafrichterlichen Entscheidungen nicht an der Anordnung einer MPU gehindert, wenn das Gericht die Fahrerlaubnis nur deshalb in der Hauptverhandlung nicht mehr entzogen hat, weil es mit Blick auf die lange vorläufige Entzugszeit die fortdauernde Ungeeignetheit nicht mehr feststellen konnte.