Rz. 6
Bis zur Entscheidung des Großen Senates im Jahre 2005 (zfs 2005, 464) hat die Rechtsprechung überwiegend den Begriff des "Zusammenhangs mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges" sehr weit gefasst. Nach der damals überwiegend vertretenen Auffassung sollte alleine schon eine unter Benutzung eines Kraftfahrzeuges begangene schwerwiegende Straftat regelmäßig zum Führerscheinentzug führen, einen verkehrsspezifischen Gefahrzusammenhang zwischen Tat und Verkehrssicherheit musste danach der Tatrichter nicht feststellen; bei schwerwiegenden Straftaten oder wiederholten Taten unter Benutzung eines Kraftfahrzeuges wurde teilweise noch nicht einmal mehr eine eingehende Würdigung der Täterpersönlichkeit verlangt.
Rz. 7
So hat die Rechtsprechung in bestimmten Straftaten ein äußerst starkes Indiz für die Ungeeignetheit des Täters gesehen, so z.B. im Falle:
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des Fahrens trotz Fahrverbotes (OLG Schleswig VM 66, 93), |
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der Benutzung des Fahrzeuges zur Begehung einer Straftat (OLG Düsseldorf NZV 1992, 331; BGH NZV 1993, 35; siehe aber BGH zfs 2003, 151), |
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der körperlichen Misshandlung eines anderen Verkehrsteilnehmers (BayObLG NJW 1959, 2117) oder einer absichtlich mit dem Fahrzeug herbeigeführten Verletzung (BGH NZV 1998, 418). Das galt selbst dann, wenn die körperliche Misshandlung als Reaktion auf eine vorausgegangene Beleidigung ("Stinkefinger") erfolgte (KG NZV 1997, 127), wobei das LG Berlin (NZV 2003, 151) allerdings verlangte, dass die Erwartung begründet war, der Betroffene werde künftig weitere schwere Pflichtverletzungen begehen und sich bei Belassen der Fahrerlaubnis Gefahren für die Allgemeinheit ergäben, während nach Auffassung des LG Koblenz (NStZ-RR 1996, 117) ein solcher Angriff zumindest mit einem Fahrverbot geahndet werden musste, |
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der vorsätzlichen Beschädigung eines fremden Pkws (LG Zweibrücken DAR 1995, 502), |
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der Überlassung des Fahrzeuges an einen Fahruntauglichen (BGHSt 15, 318), |
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des Widerstandes (§ 113 StGB) zur Verhinderung einer Blutprobe (OLG Hamm VRS 8, 46), |
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des Einschleusens von Ausländern mit einem Fahrzeug (OLG Dresden NZV 2001, 439), |
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der Vergewaltigung einer Mitfahrerin (BGH VRS 36, 265), |
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der Erstattung einer falschen Diebstahlsanzeige zur Vertuschung eines vom Täter verursachten Verkehrsunfalls (OLG Hamm VRS 57, 184), |
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des Begehens eines Betruges gegenüber dem Versicherer im Anschluss an einen Verkehrsunfall (BayObLG VRS 69, 281) bzw. |
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eines Betruges, der dem Täter durch die Fahrerlaubnis erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht wurde (BGH DAR 1966, 91), |
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des Transports der Beute (BGH NStZ-RR 2002, 137), |
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der Einfuhr von Drogen mit dem Kfz (BGH bei Tolksdorf, DAR 1997, 174) oder |
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der Nutzung des Fahrzeuges (Taxi) zum Verkauf von Drogen (BGH DAR 2002, 518). |
Rz. 8
Auf der anderen Seite haben schon damals der IV. BGH-Strafsenat und einige Gerichte den bloßen Besitz oder die Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug nicht genügen lassen, so z.B. wenn der Täter
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den Tatentschluss erst nach Beendigung der Fahrt gefasst und danach den Tatort mit seinem Fahrzeug verlassen hatte (BGH NZV 1995, 156), |
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mit dem Fahrzeug zum Tatort gefahren war, ohne dann die tatbestandliche Handlung mit dem Fahrzeug zu fördern (BGH NZV 2002, 378; DAR 2002, 426; zfs 2003, 94), |
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die Bremsanlage eines Fahrzeuges in der Absicht manipuliert hatte, den Fahrer dadurch zu Tode zu bringen (OLG Celle NZV 1998, 170), |
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ein sittlich anstößiges, obszönes Verhalten zeigte (OLG Köln NZV 2004, 423), |
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eine fahrlässige Tötung beging (LG Kaiserslautern zfs 2004, 39), wobei in solchen Fällen alleine das fortgeschrittene Alter (hier 71 Jahre) die Annahme einer körperlichen oder geistigen Ungeeignetheit nicht rechtfertigte (LG Düsseldorf DAR 2005, 230) oder |
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sich der Angriff – hier Steinewerfen von einer Brücke – gegen einen Kraftfahrer richtete, mochte auch die Schwere der Tat auf die charakterliche Ungeeignetheit des Täters hinweisen (BGH NZV 2001, 133). |
Rz. 9
Achtung: Änderung der Rechtsprechung
Gegen die anderen BGH-Senate hat der IV. Senat den Standpunkt vertreten, dass die Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges sich nur dann aus der Tat (§ 69 Abs. 1 S. 1 StGB) ergeben könne, wenn aus dieser konkrete Anhaltspunkte dafür zu erkennen seien, dass der Täter bereit sei, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen. Er verlangt also einen spezifischen Zusammenhang zwischen Tat und Verkehrssicherheit (BGH zfs 2003, 611; 2005, 43).
Rz. 10
In diesem Sinne hat auch der große Senat (zfs 2005, 464) entschieden.
Er stellt klar, dass § 69 StGB alleine den Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs bezweckt und deshalb die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen charakterlicher Ungeeignetheit bei Taten im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges voraussetzt, dass die Anlasstat tragfähige Rückschlüsse darauf zulässt, dass der Täter bereit ist, auch in Zukunft die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen. Zu Recht weist er ...